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Der Sang der Sakije

Titel: Der Sang der Sakije Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Seidel
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bin ich da? – Ich will Geld verdienen und ein gelbes Hemd erwerben. Auch will ich mir Zuckerwerk kaufen und eitel Halbabrot essen, um stark zu werden. Ich will nicht mehr auf der Sakije sitzen. Es ist hübscher hier. Ich will viel herumhorchen,einen Esel mieten, die Sprache der Inglîz sprechen und ihnen viele Piaster aus der Tasche fischen. Denn wenn ich auch noch dumm und klein bin, so weiß ich doch, daß diese Teufel nichts anderes verdienen, als derb geprellt zu werden.
    Aber auf welche Weise sollte er nun seinen Vorsatz ins Werk setzen? Ja, wie, um alles in der Welt, sollte er das machen? – Er überlegte mit gekrauster Stirn, und auf einmal überkam ihn eine rechte Ratlosigkeit, so daß er sich in den Staub warf, zu schreien anhub und mit den Beinen um sich schlug.
    Da ertönte hart an seinem Ohr eine blecherne, knarrende Stimme: »O du Sohn von sechzig Hunden; entfleuche flugs; was soll dein Geschrei? – Siehe, du hast mein Gebet mit deinem Atem zerschrien und ungültig gemacht; und nun muß ich von vorn beginnen; Schande über dich und dein Geschlecht!« – Daûd blickte verblüfft auf, da sah er den Kaufmann, dem der nächste Laden gehörte, einen Juwelier und Altertumshausierer, mit zornwetternder Miene vor sich stehen. Sein olivfarbenes, ledernes Gesicht zeigte tiefe Falten der Kränkung; sein schwarzer Schnurrbart zuckte. Daûd erhielt noch einen derben Tritt von einem Saffianpantoffel an die Schulter; dann stand er eilends auf und schlich davon. Er sah noch, wie der Kaufmann in den Laden zurückkehrte, sich auf die Knie niederließ und, leise mit den Lippen bebend, die Hände gespreizt an die Schläfen hob.Daûd bog hinter den Großen Tempel ein und gelangte auf einen kleineren, freien Platz, auf den die Straße El-Mahatta mündet. So vielfach das Leben sich auch schon rührte, er empfand doch, daß in dem Hin und Wider des entfesselten Verkehrs plötzlich eine leise Dämpfung entstand. Jetzt ward es ihm bewußt: eine Stimme, die, an keinen Ort gebunden, scheinbar ursprungslos über ihn dahinwanderte... Eine Stimme, dem hellen Blau entquellend, entrückt und doch körperlich spürbar. Und diese Stimme traf ihn wie eine Lähmung, wiewohl er wußte, was sie rief.
    Sie kam von dem frisch gekalkten Minarett der Moschee El-Alabi; und das Minarett leuchtete mit seiner Tropfsteinplastik unter dem Rundgesims weiß im Morgenblau. Über das niedrige Geländer beugte sich ein Kopf, hoben sich schwarze Ärmel, aus denen gespreizte Finger stiegen. So klein, so zierlich sah das aus wie ein Spielzeug, und doch war die Stimme groß und deutlich und flog wie ein feierlicher Vogel über den Platz.
    Sie kam herunter mit einem schrillen Unterton und zog wie eine Welle in die Runde... Zuweilen überbot sie sich selbst, ekstatisch überspannt, und starb in einem heiser verzückten Laut dahin, um plötzlich wieder aus dem Dunkel tiefen Klanges und gereinigt zu erwachen, eine ansteigende Beteuerung ruckweise herausschleudernd, bis sie sich wieder tremolierend in atemloser Höhe wiegte. Das ist der Gesang des Muezzin; keiner gleicht ihm. Er singt:
    »Gott ist sehr groß!
Ich bekenne, daß Gott
Der Gott ist!
Ich bekenne,
daß Mohammed der Prophet Gottes ist!
Kommt zum Gebet!
Kommt zum Heil!
Gott ist sehr groß!«
    Er singt manche der Sätze dreimal mit aller Inbrunst einer fanatischen Erkenntnis. Er ist das Instrument, dessen der Höchste sich gleich einer Posaune bedient. Der Höchste schuf diese Stimme, diesen melodischen Aufschrei zu sich selbst und tat ihn in ein unvollkommenes Gefäß; bewahrt ihn darin; und so ist denn die Stimme die ganze Seele des Muezzins, denn er denkt nicht dabei. Es singt aus ihm. Sein Leben ist ein tierisches; es gehört der Nacht an. Er ist blind.
    Die verschrumpften Augenlider sind tief zurückgesunken. Leere Höhlen gähnen in das wundervolle Blau. Er bläht den Hals und wirft den Hinterkopf erhaben und eitel zurück; sein scharfes Profil steigt auf und nieder; sein Gesicht wiegt sich leise zum Beben der offenen Hände. Die Arme, im Ellbogen senkrecht abgeknickt, schweben breit im Licht, im Glanz, als wollten sie ihn einraffen wie die Arme der großen Menschenfischer, die je in diesen Bereichen hausten. Unter ihm sind offene Höfe: die Harems kehren ihr Innerstes zum Licht. Braune Frauen schwatzen halbnackt miteinander, wiegen unmündige Kinder oder liegen noch wie schwarzeBündel in nächtlicher Erschlaffung da. Ein leises, silbernes Gemurmel strömt aus dieser Welt, die von der äußeren

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