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Der Sang der Sakije

Titel: Der Sang der Sakije Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Seidel
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dich die Fatha lehren, den erhabenen Eingang alles Wissens, der mit Perlen geziert ist. Und wenn sich dein Kopf gelehrig erweist, so geh zu deinem Vater und sprich zu ihm: ,So und so, und ich will zu dem Schêsch Ali-ibn-Mûsa gehen, auf daß er mich den heiligen Koran lehre'; und bring mir von ihm im Anfang jeden Monats einen Doppelpiaster, ein junges Huhn und eine Wassermelone, wenn sie reifen. Und wenn er eine Abgabe in diesem Sinne leistet, so wird Gott ihm und dir gnädig sein.«
    Dies sprach der Schulmeister, und somit war Daûd bestätigt. Die Knaben, nach einer letzten, erheitert abschätzenden Kritik, hatten ihren Lärm eingestellt. Sie wandten sich wieder ihren Blechtafeln zu, und ehe sie weiterlernten, strichen sie ihre buntgestreiften Hemden über den Knien glatt und saßen manierlich wie ein Häuflein Turteltauben, das im Schatten Mittagsruhe hält.
    Daûd hatte sich in ihren Kreis einreihen lassen und hielt nun ebenfalls eine Blechtafel in der Hand, ohne zunächst auch nur im entferntesten zu ahnen, was er mit dem Ding machen solle. »Zunächst gewöhne dich an das Schreibzeug, o Daûd-ibn-Zabal«, sprach der Fiki. »Stelle es mit der Linken hart aufs Knie undlaß die Rechte locker; das ist die Stellung für die, die Wissen erwerben wollen. Und nun laßt uns noch dreimal die Fatha wiederholen! Und wenn du sie wohl vernommen hast, o Daûd, und das erhabene Wort in deinem Ohr nicht schlummert, so wiederhole sie uns, gleichwie du uns bei deiner Herkunft – (die gesegnet sei) – das Subh gesprochen hast.« Er gab ein Zeichen, und die Knaben, nach vorn und rückwärts sinkend, brachen mit hellen Stimmen und halbgeschlossenen Augen los:
    »Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen!
Lob sei Allah, dem Weltenherrn,
Dem Erbarmer, dem Barmherzigen,
Dem König am Tage des Gerichts!
Dir dienen wir, und zu dir rufen um Hilfe wir;
Leite uns den rechten Pfad,
Den Pfad derer, denen du gnädig bist.
Nicht derer, denen du zürnst, und nicht der Irrenden. Amîn!«
    Es war dem kleinen Volk sehr geläufig, sie hatten ihre Lust daran, sich zu überschreien. Es klang wie ein kleiner Parademarsch; mit exakten Einsätzen und gemeinsamem In-die-Höhe-Gehen; dabei wackelten sie, die Hände in den Hüften gestemmt, wie eine Reihe Nippesfiguren, die durch eine Schnur gleichzeitig in Bewegung gesetzt werden. Daûd lauschte, wie ein Ertrinkender nach Luft ringt, und so fiel denn das edle Arabisch gleich Saatkörnern auf seine frisch mit Glauben gedüngteSeele. Als die Fatha dreimal verklungen war, winkte ihm der Fiki, und Daûd begann.
    Wenn man ihn ansah und schon dem ersten Einsatz horchte, mußte man erstaunt sein. Denn er leierte seine Sure nicht, er sang sie. Er stemmte die schlanken Hände, gleich den anderen, in die Hüften, verfiel aber nicht in das mechanische Wiegen, in den stumpfen Takt, sondern im Gegenteil: er ließ sich von den Worten durchschüttern und hin und her bewegen, von ihrem Sinn zügeln und berauschen: das war etwas Neues, das war eine persönliche Note, die dem braven Fiki nicht entging. Daûds Stimme war klar; es war eine rare, biegsame Stimme. Er begann mit hoher Fistel: das erste Wort »Lob« das er lange dehnte, war kein gleichgültiger Tribut, den er Allah zollte, es war eine Welt für sich; die Ekstase einer ganzen Gemeinde. So spendete er Lob; und die vier folgenden Attribute glänzten auf wie vier goldene Nägel, mit denen er sein Lob an das Tor der »Eröffnung« schmiedete. Den »Tag des Gerichts« ließ er wie eine Posaune mit kleiner Nasalfärbung eine Sekunde lang noch als drohendes Symbol in der Luft hängen; dann begann er, so tief er konnte, den bezeugenden zweiten Teil, sprach ihn als einen einzigen Satz aus dem Staub der sich niederwerfenden Demut heraus, in einem gläubigen Versteckspiel vor der gepriesenen Macht; und am Schluß zischte wie ein Pfeil, den der gepanzerte Moslem entsendet, der abwehrende Haß, der Stolz hervor: »und nicht der Irrenden!« – – – – Nun erst irrten jene wirklich, da Daûd sieirren hieß; nun erst waren sie in Wahrheit die Verdammten!
    Der Fiki war ein schlichter Mann. Seine Bildung ging nicht über das Mittelmaß hinaus. Er konnte rechnen, schreiben, und von den Suren waren ihm, wenn es hoch kam, zehn geläufig. Von dem Leiter einer Moschee hatte er einige dürftige Kommentare erhorcht und nicht ohne Mühe behalten; und was ihm entwischte, ließ er ziehen. Er huldigte im allgemeinen dem altägyptischen Prinzip: Der Knabe hat seine Ohren auf dem

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