Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Sang der Sakije

Titel: Der Sang der Sakije Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Seidel
Vom Netzwerk:
Rücken! – – Zudem war er, wie es die Talmudisten sind, überzeugt, daß ewiges Herleiern die beste Methode sei, und tat es darin, ohne es zu wissen, dem berühmten Rabbiner gleich, der da schrieb: »Wenn ein Knabe nach vierhundert Erklärungen eine Sache noch nicht versteht, so liegt die Schuld am Lehrer...« – – wobei, wie erhellt, Lehrer wie Schüler recht tief bewertet werden. Der Fiki spürte jedoch das Selbstherabsetzende solcher Anschauung nicht, sondern arbeitete brav; unermüdlich raunzte er seine erläuternden Glossen, an denen er nie ein Wort veränderte, und peitschte die Fußsohlen der Knaben mit einem entfiederten Palmzweig, wodurch der Unterricht oft genug einen dramatischen Verlauf nahm.
    Er ersetzte die niederdrückende Bescheidenheit seines Wissens durch eine vorbildliche Strenge im Befolgen der Vorschrift; er betete, was ihm Respekt eintrug, fünfmal zu den vorbedingten Zeiten und war, was die Technik aller Verbindlichkeiten mit dem Himmel anlangte,eine Art Autorität, weshalb ihm alle reicheren Krämer vertrauensvoll ihre Sprößlinge zur Aufzucht überließen und nicht ermangelten, ihn entsprechend mit Backschisch zu verwöhnen.
    Abgesehen von der Eitelkeit, die sich in gewaltiger Würde äußerte, war er voll Unschuld, und sein gutmütiges Herz ließ sich leicht erschüttern, wo es einem fremdartigen Eindruck unterlag. Ein solcher hatte ihn jetzt ohne Zweifel getroffen, denn er schwieg eine Weile, nachdem Daûd geendet; dann sagte er tief aus seinem Bart heraus: »O Daûd-ibn-Zabal, ich bin sehr verwundert und heiße dich willkommen. Du hast uns eine neue Art wissen lassen, die Fatha zu singen... Es ist nicht lange her, da war ich in Kairo, um eine Geschäft abzuschließen (und das Geschäft gelang, gelobt sei Gott!). Ich kam aber gerade zu dem Feste Chamm-en-Nessim und hörte Sänger vor den Leuten singen. Und siehe, deine Art, diese Sure zu singen, gleicht ihrer Art in betreff ihrer Vollkommenheit und des Hebens und Senkens der Stimme, wie es der erhabene Sinn heischt: Wo hast du das gelernt?«
    Daûd saß, mit seinem Heiligenschein geschmückt, nicht ohne Herzklopfen da und sah keck umher, denn er merkte, daß er festen Fuß faßte. Dann sprach er: »O Schulmeister, ich habe das von der Sakije gelernt beim Naga-el-Kôm, wo meine Heimat ist.«
    Die Knaben ließen die Unterlippen hängen, so verblüfft waren sie über den neuen Ausspruch, und dann kreischten sie ihren Hohn über den kleinen Bauern jähheraus, während sie sich untereinander an den Kelabijen rissen. Selbst der Schulmeister geriet ein wenig aus der Fassung. Dann sprach er: »Nun, ich sehe, daß du noch ein Tölpel bist und des Schliffs ermangelst, weil du das heilige Wort mit deinem Dorfmist vermengst. Du verdientest wahrlich, wenn du nicht das erstemal (gesegnet sei dein Kommen) hier erschienen wärst, die Gerte auf deinen Sohlen zu spüren, bis sie platzen und Blut lassen... Doch es mag geschehen, daß Gott ein Wunder an dir tut und, nachdem er eine Stimme in dich gelegt, die ihn würdig pries, auch mit der Zeit dein dumpfes Hirn erleuchtet und ähnliche Antworten von dieser ungezogenen Art in deiner Kehle erstickt.«
    Daûd knickte zusammen; er verstand die Zurechtweisung nicht, und sein eigenes Gesicht, das ihm das blanke Stück Blech, zu dem er es neigte, verzerrt widerspiegelte, flößte ihm Mitleid ein. – Heute ging es noch glimpflich; aber an späteren Tagen trugen ihm so tief empfundene Antworten öfters ein handfestes Echo ein, so daß er trotzig und heulend aus der Schule stürmte und das Tintenblech, auf dem der Irrtum stand, an seinem staubigen Bauche abrieb – denn schon an diesem Tage lernte er schreiben, den Anfang des Alphabets, und seinen geschickten Fingern machte es keine Mühe.
    Der Schulmeister war unberechenbar. Er spendete in verschnörkelten Worten reichstes Lob, doch sobald man es beglückt einsog und eine kleine Eitelkeit erwachte, riß er sie grob an ihren zarten Wurzeln wieder aus,damit die eigene, kräftige, allein und ohne Nebenbuhler im Umkreis gedeihe. Das war sein Prinzip. – – –
    Inzwischen war die Zeit vergangen. Die Knaben waren hungrig geworden; so wurde denn das Dhur, das Gebet, wenn die Sonne sich zum Zenit begibt, vom Schulmeister geleistet. Die Knaben, blutjung wie sie waren, hatten noch nicht die Verpflichtung, ebenfalls die Kniefälle und die mit Sand fingierte Waschung vorzunehmen; deshalb saßen sie noch wie ungeduldige Affen herum, während der Fiki auf der Bastmatte

Weitere Kostenlose Bücher