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Der Sang der Sakije

Titel: Der Sang der Sakije Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Seidel
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sei. Denn wenn er auch mit den ungebärdigen Knaben den halben Tag hinter Kälbern und Rindern herrannte, die Bauwabs und die Fremden ärgerte, die Auslagen bestahl und andere noch entzückendere und phantasievollere Scherze trieb, so befielen ihn doch plötzliche Augenblicke einer fremdartigen Ernüchterung. Ihm war, als ob aus einem Versteck heraus eine Stimme spreche: »Warte, o Daûd, warte noch eine Weile, denn bald komme ich !« Wer war das, der fortwährend ein Ich sprach, das seinem eigenen tief verwandt, ja fast überlegen schien? – Es war ein stolz hervorgestoßenes, trotzig befehlshaberisches und doch freundschaftliches Ich, das sich anzeigte ... Dabei, wenn er überlegte, wie der beschaffen sein müsse, der es gesprochen habe, konnte ihm sein Hirn keinen weiteren Fingerzeig geben, und seine Träume gingen fruchtlos ihren bunten Pfad ...
    Er warf sich auf der Seite der Straße unter einen Stamm. Und er sah aus dem Schatten der Akazie herausüber den kahlen Graben und die grünen Felder. Sein Blick verweilte bei fernen Palmengruppen und blassen Hügeln. Eine Frau ging vorbei, schwarz und winzig bewegte sie sich wie eine Ameise in einem ungeheuren flachen Teller; die Kanäle blitzten fadendünn wie in Zinn graviert; und links lag der Karnak-Komplex in wuchtiger Ruhe. Ein Kamel wandelte steif auf ihn zu, und ein kleines Mädchen in mohnblumenrotem Kattunhemd führte es hüpfend am Halfter...
    Ein Dunst von ewiger Mühsal lag auf dem hitzegeschwängerten Bereich, ein heller Sonnenbrodem, in dem alle Gegenstände zitternd versanken. Und wabernd, flimmernd zerrann das Gesichtsfeld; die Konturen wurden wesenlos und die fernen Schreie einzelner Menschen und Tiere zu stillen Zirptönen ... Das leichte Trappeln eines Esels auf der Straße, hinter dem ein stoßweises Treiberkeuchen flog, sickerte in die Brutstille des Nichts hinein, wie das Ticken einer Uhr, das mit letztem Schwingen der entspannten Feder allmählich endet...
    Nichts gleicht dem Blau des Himmels über dem Niltal!
    Ist es von Hitze erfüllt, so erbleicht es zu einem fiedenden Weiß, in dem, gleich schwarzen Punkten, die Raubvögel reglos schweben oder, wenn sie mit den Schwingen rudern, in langem Strich nach anderen, gleich hoffnungslos durchgluteten Bereichen ziehen. Rücken die Stunden vor, dann vertieft sich das Blau, zeigt sattere Töne und umgreift immer voller und mächtiger alle Welt im Rund; schwelgerisch durchtränkt es die Dingeund überleuchtet Wüste und Stromland mit gleicher Zärtlichkeit ... Die Augen Daûds schlossen sich. Vor seinen Lidern war flammendes Mittagsweiß. Er schlief ein, und nach mehreren Stunden glaubte er zu erwachen: da sah er geradeswegs in ein strotzendes Blau, in dem der Blick untertauchte; in ein warmes Nichts, worin die eine Farbe allmächtig triumphierte. Vom Blau glitt sein Blick einen Zoll tiefer, in das Grün des Ackers, und dann wieder hinauf ... da war ihm, als sähe er etwas Seltsames sich vollziehen: eine Umwandlung des Nichts in ein Etwas, das langsam Gestalt gewann und sich schwer und lichtschwankend aus dem Blau gebar. Siehe da, ein Menschengewimmel, ein lautloser Prunk unendlich vieler, wallender Gewänder! Und hinter dieser Menge tauchte ein quadratisches Gebäude auf, durchsichtig zunächst, dann gut erkennbar, aus tieferer Bläue geformt. Und mit einem Male wußte er's: das war die Kaaba, und diese Vorstellung war mit einer flüchtigen Erinnerung an den Fiki verknüpft. Doch löste sich jetzt alles Gefühl für die Wirklichkeit auf ... Ein unbeschreiblich milder, gleichmäßiger Sonnenglanz umfunkelte jene Stätte.
    Auf einmal schien sich die Menge zu teilen, ja, auf und nieder rinnend, sich zu verflüchtigen, so daß der Platz mit der Kaaba, umkränzt von einer zierlichen Arkadenflucht, frei und einsam lag. Und siehe: unter den schlanken Säulen des Hintergrundes hervor, langsamen Schrittes über das farbenblühende Mosaik des Pflasters, kam ein Zug von Leuten, an deren Spitzeeiner schritt, dessen Anblick Daûds Herz fast zum Stocken brachte. Er war bärtig, sein Gesicht war scharf und schön, mit adlerförmiger Nase und scharfem Mund; der Kiefer, dessen Gelenk scharf vom Ansatz des Halses trat, drückte einen unerhörten Willen aus. Das, was alles vor ihm niederzuwerfen schien, waren seine Augen. Schwarz und rund glühten sie aus ihren Höhlen, sie funkelten reglos ekstatisch in die Weite, durchdrangen alles, waren untrügliche Spiegel des Fernen und Nahen, ganz erfüllt und durchpulst von einer

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