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Der Sang der Sakije

Titel: Der Sang der Sakije Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Seidel
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zurückgesunkenen, in rätselhafter Trübsal starrenden Augen. Ja, das war offenbar, der Weli saß in dem Sumpf und in den Schlacken eines Leides, einer Bekümmernis, die hehren Ursprungs war – und aus ihr hob sich sein Märtyrerantlitz wie nach Licht dürstend. Seine Hände hingen, über die spitzen Knie gelegt, mit den Tellern nach unten, und die erschlafften langen Finger waren der Erde zugewandt, der Urmutter und zugleich dem Grab alles Vergänglichen. Bisweilen hustete er kurz und bedeutungsvoll; und so oft der Husten seinen Hals erschütterte, schwankte das Rabennest, und er sank gleichsam um einen Leidensgrad tiefer unter seiner wollenen Last. Er war unleugbar erhaben und bemerkenswürdig. Die Leute drängten sich herzu. Man sah strenge Männer, fassungslose Weiber, Arbeiter, Laufjungen und Eseltreiber; kurz, es war eine breite Volksangelegenheit und Aufhebens wert.
    Der Weli trug einen schmutzigen, recht geräumigen Kaftan, den er hübsch um sich zu drapieren verstand. Er kümmerte sich keineswegs um die Sensation, die er verursachte. Ein Brennpunkt des Interesses, gebärdete er sich höfisch und voll abwehrender Mimik; er heimste mit keinem Seitenblick die Andacht der Mienen ein und lieh dem Geflüster um sich nicht das geringste Ohr. Es schien ihm sogar lästig zu sein, daß die Fama seinerHeiligkeit so schnell auf die Spur gekommen war. Jedenfalls stellte er die freudige Frömmigkeit auf eine rechte Geduldsprobe. Man harrte aus.
    In Khakiuniform, mit engen Hosen, einen martialisch großen Fes auf dem Wollhaar, erschien ein Polizist. Er schwang eine Peitsche aus Nilpferdhaut, die ihrer ganzen Länge nach um den Stiel zurückgewickelt war und so ein gewichtiges Zuchtmittel darstellte. Er schwang sie, daß die Luft zischte, und freute sich darauf, den Auflauf auseinanderzujagen. Er formte schon im Geiste bewährte Schimpfworte, die er zu handhaben verstand, so daß dort, wo er sie hinhauchte, kein Gras mehr wuchs. Doch, o Wunder! Er kam näher –: seine Augen wurden sanft. Der Wolf ward zum wedelnden Hunde; er ließ die Peitsche verschwinden und stellte sich gleich den anderen stumm in den Hintergrund.
    Er hatte erfahren, daß der heilige Mann Ruhe wünsche. In Wahrheit hatte der Weli überhaupt keinen Wunsch geäußert, sondern lediglich mit Ausdauer geschwiegen. Jetzt endlich rührte er das Haupt wieder; der Turban sank langsam in den Nacken. Er sah sich um. Seine betrübten Augen schienen niemand zu bemerken ... dann tat er einen gemächlichen Kniefall, ohne sich zu übereilen, und legte die Hände an die Ohren, als ob er auf irgendeine geflüsterte Eingebung lausche. In diesem Augenblick kam Daûd mit seinen Freunden und wand sich, reich mit Fußtritten bedacht, in die Nähe des Grabens, so daß er ein guter Ohrenzeuge des Vorgangs war. Und der einsame Weli warbzur Quelle tiefer Erbauung. Ein Gesang drang unter dem großen Turban hervor: unablässig strömende Sätze, die am Schlusse langgezogen dahinhallten, wie als verquickten sie sich mit dem Ansatz eines Echos in unsichtbarem Gewölbe... und schier noch unter dem Fittich des einen Satzes rührte sich der zweite, so tief und voll tönte der Ausklang in den Ohren. Daûd hörte einen ganz alten Mann neben sich sprechen: »Es ist die Sure der ›,sich Reihenden‹,.« Daûd war hingerissen. Er fühlte sich von den Bildern, die sich aus dem Gesang formten, überschwenglich erschüttert. Er vernahm von der großen Scheidung am »Tag des Gedränges« und von der kreischenden Angst der Verworfenen auf der messerscharfen Brücke... Und dann umwehte ihn das Idyll der Seligen wie Ambraduft:
    »Aber die Diener Allahs
Sorgenfrei werden sie leben,
Früchte werden sie speisen
In den Gärten der Wonne,
Auf Polstern einander gegenüber.
Kreisen soll unter ihnen ein Becher aus einem Born,
Weiß, süß den Trinkenden,
Kein Taumel soll in ihm sein,
Und nicht sollen sie sich berauschen,
Und bei ihnen sollen sein züchtig blickende Großäugige,
gleich dem versteckten Ei...«
    Als der Weli diese Verse sang, geschah ein Wunder. Ein Licht erglühte unter seinem Kaftan und erhelltedie Herzgegend. Es war ein ruhig brennendes Licht, es schwebte wie ein Stern in den Kleidfalten. Es flackerte nicht und verlosch nicht. Der Weli schien es kaum zu bemerken; es schien, als habe es sich von selbst an seiner Inbrunst entzündet. Die Menge starrte entgeistert, ganz Auge, ganz Ohr: nur ein seufzendes, atemloses Geflüster ging um. Dort unten saß der Heilige wie ein Glühwurm in

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