Der Sang der Sakije
entzückten Hirne, die sie begrüßten. Die Musik wurde schneller, die Sänger jauchzten heiserer. Der Körper folgte ihnen unter heftigem Aufklappen der Fersen auf den Bretterboden. Die Tänzerin hob die Arme wie zu einer unersättlichen Umschlingung all derer, die vor ihr saßen ... dann streckte sie sie ganz steif über dem Scheitel: die Fingerspitzen der rechtwinklig abgebogenen Hände berührten sich: und so bot sich der schlangenhaft bewegliche Körper freier und wilder den Blicken dar. Mit der Zeit ward ihr rundes, grobes Gesicht mit den blau unterstrichenen Augen und den leuchtenden Tätowierungen von Schweiß ganz blank; heftig überreizte Nerven zappelten in den von brünstiger Erschöpfung zerknitterten Lidern, um die Nüstern, um den zum klaffenden Halbkreis verzerrten Mund mit den schmalen, enggruppierten, rotgefärbten Zähnen; und um den Wirbel ihrer Bewegungen schwelte die Flamme einer in sich selbst verbrennenden Gier.
Plötzlich, nach einem letzten, heiseren Aufschrei sämtlicher Begleiter und einem hohen, wimmernd röchelnden Lustschrei des Weibes brach die Musik ab, und die plötzliche Stille hackte gleichsam wie ein brutaler Beilschlag die bebenden Fäden all der Blicke ab, die aufs höchste erregt aus dem Dunkeln starrten. Eine Kluft zwischen
79den Bankreihen und der Bühne sprang gähnend auf, die fatale Entfernung eroberte ihr Recht, und die lampenhelle Wirklichkeit fuhr ernüchternd in die Köpfe. Ein heftig atmendes, gewöhnlich aussehendes Weib verweilte da oben noch einen Augenblick, mit hündisch nach Luft gierenden Flanken; dann ging sie wankend mit einem erstarrten Lächeln nach rechts hinaus. Die Honoratioren waren die ersten, die, mit beifällig wiegenden Köpfen, wieder zu schwatzen begannen. Einer von ihnen, ein behäbiger Krämer, führte das kugelförmige Bernsteinmundstück seiner Wasserpfeife, deren gewichtiger Apparat von Glas und Messing sich unterhalb seiner Füße breitmachte, ohne viel Andacht wieder an seine breiten Lippen und sog beharrlich schmatzend daran, denn das Kohlestückchen unten auf dem Tabaknapf war halb erloschen. Daûd starrte den Schlauch an, der sich hübsch gemustert wie eine Schlange in die Höhe ringelte... doch er wußte nicht, was er sah, wußte überhaupt vorerst gar nichts mehr von seiner Umgebung, und sein Kopf war tief benommen. Der Gesang begann von neuem mit gleichmütigem Geplärr, intoniert von dem alten Weib mit dem Kinnschleier. Daûd verweilte noch wie in halbem Schlummer; ehe jedoch eine zweite Tänzerin erschien, stahl er sich hinaus, denn ein unerträglicher Druck, der scheinbar im Magen saß und sein kleines Herz angstvoll und allzu emsig schlagen ließ, bedrängte ihn. Es mochte wohl die dicke Luft sein, die ihm Übelkeit verursachte, ihm, dem der reine Atem der Felder Bedürfnis war.
Hinter einer Torfahrt auf einer Pferdedecke schlief er ein. Es mochte Mitternacht sein, vom schwarzen Himmel taute Sternenfrieden: da sah er vor sich eine schimmernde Wirrnis. Aus einem Hintergrund von Rot und Gold wuchs ein nacktes Weib hervor. Sie ließ verzückte Blicke über ihn spielen wie ehemals seine Traumgeister bei der Sakije im Weizenfeld; doch waren diese Blicke seltsam entlegen und rückten weit hinweg, wenn Daûd ihnen begegnen wollte. Das Weib wand sich einsam; ihr Leib spielte, schmiegsam verrenkt, bald gewölbt, bald hohl vertieft, ein unerklärliches Spiel vor einer schwer erglühenden Ferne. Sie spielte mit einem Gedanken, der noch in Keimhüllen steckte, einem unreifen, brennenden Gedanken, und fachte unersättlich und unablässig erste zögernde Pulse an...
Die Dämmerung ist flüchtig. Sie ist ein heißer, qualvoll mit bitterster Kraft geführter Zwiekampf zwischen letztem Sonnenprunk und der tückischen Hydra der Lichtlosigkeit, die schaurig schnell siegt. Die Welt ist noch hell, in ihren Abgrenzungen scharf erkennbar; aber Licht und Schatten sind seltsam tot verquickt. In dieser kurzen Zeitspanne tauchte eines Abends ein Weli auf. Es hieß, er sei die Straße El-Mahatta heraufgekommen und habe sich südlich des Städtchens in einen trockenen Graben gesetzt.
Das Gerücht ging schnell genug von Mund zu Mund, und als man den Weli fand, war es Nacht. Die Gestirne schienen hell genug, um eine Betrachtung zuermöglichen, die der Neugier Genüge tat. Er trug einen riesenhaften Turban von der Größe eines Rabennestes; darunter tat sich ein verschlossenes, scharfkantiges Gesicht hervor, mit einer vorspringenden Hakennase und
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