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Der Sang der Sakije

Titel: Der Sang der Sakije Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Seidel
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beiläufig, mit keinerlei Willen zur Erkenntnis, derlei Gedankengänge, er blieb im Kreise der Wasa und drehte sich darin; er gab sich ungeheuer aus und lebte auf der Spitze... Vonden Spargeln aß er nur die Köpfe; und wenn er sie verschmähte, so geschah es aus Stumpfheit oder Irrtum, wie es bei dem bäuerlichen Manne geschah, von dem ihm einst der dicke Abu-Kêf berichtet. Und da seine Gedanken sich nun einmal ausschließlich auf einen Punkt eingestellt hatten, so dachte er unter anderem auch seiner Mutter, und dachte ihrer nicht als Sohn. Er dachte lediglich der Seijide Ali-Jussef, deren Französisch subtil und gesetzt klang, und die ihm eingreifende Dinge berichtet hatte ... In einer Weise berichtet, als rezitiere sie irgendein nach Sensation schielendes Feuilleton.
    Ärger war es, was er in diesem Moment der Frau gegenüber empfand. Ah, ich habe mich hinreißen lassen! Ich habe ihre Hände ergreifen und küssen wollen! Was bewog mich dazu! Wer ist diese Frau! Eine Frau, die sich meine Mutter nennt ... Und nach einer kurzen Anwandlung von Weinerlichkeit erhob er sich mit einem Ruck im Wagen, spiegelte sein fettes, leeres Gesicht im blanken Griff des Stockes und übte eine erboste Kritik. Er schob das alternde Weib in einige Entfernung und beschimpfte sie leise. Es bereitete ihm Wollust, dies zu tun ... Eh! Du willst mich nicht Sohn nennen! Gut, ich bin dir zur Unzeit geboren! Ich bin ein wandelnder Chok für dich! Verdammt sollst du sein! Seine Augen traten hervor; er stampfte auf den Boden der Equipage, so daß der Kutscher herumfuhr. »Es ist nichts«, sagte Hassan. »Ich überlege, duSchwein.« Und nach einer Weile kamen ihm dieselben Gedanken wieder.
    Doch diesmal stand die Seijide dicht vor ihm in einem irrseligen Duft und war um zwanzig Jahre verjüngt. Sie war zierlich, klein und lebhaft wie ein Fink. Sie war wie eine Türkin so weiß; ihr Mund war klein und voll; und ihre Augensterne ruhten jettschwarz in bernsteinfarbener Iris; ihre kleinen Hände tappten wie blind nach ihm; ihre Finger huschten an seinen Nacken ... Sie bewegte einen verwirrend schlanken Körper in halb geöffneter schwarzer Abaja, ganz gebettet in krachende Seide ... Da kam ein Raubtier von hinten mit einem Tarbusch, ein schweres, geiles Tier, ein Athlet, an dessen klobigen Handgelenken goldene Ketten klirrten, und warf sie um.
    »Schreien Sie nicht, Madame«, dachte Hassan. »Ei, das mußte sein, in der Tat, ich verstehe diese Handlungsweise ... Er nahm Sie als sein Recht.« Doch gleich darauf sah er eine von Leid verheerte Fratze vor sich, die ihm in die Ohren schrie: »Du bist schuld, Hassan! Um deinetwillen bin ich zermalmt wie eine schimmernde Puppe von einem Mörser!« – »Was da, Madame, kann ich dafür?« – »Ihr könnt dafür! Ihr alle!« schrie die Maske. »Ei was, der Berberiner war schuld an dieser Sache!« – Und gleich darauf wurden die Züge der Maske wieder glatt; sie plapperte ein leeres Französisch und sah ihn klug und berechnend an ...Der Wagen befand sich längst hinter Gezirê und fuhr an dem Seitenarme des Nils, auf der langgestreckten Allee. In den Feldern krochen blaue Bauern die Furchen auf und ab. Der Korso war zersprengt; einzelne Wagen fuhren noch weiter; viele kehrten um.
    »Daß ich nicht auf dem Bock sitze und dieses Schwein nicht im Wagen, ist ein Zufall«, dachte Hassan und stierte auf den Rücken des Kutschers. »So ein Kerl war mein Vater ... Jedoch ...« dachte er ungeheuer schlau, »ich habe Adelslut. Ich stamme vom Propheten ab!« Er lachte glucksend vor sich hin und hob die gespreizte Hand.
    Der Wagen tauchte blitzend in die scharfen Schatten der Lebbachbäume unter. Hassan empfand mehr und mehr das Bedürfnis, ein wenig zu ruhen. Seine Überlegungen gingen im Zickzack ... Nach einer halben Stunde befand er sich vor dem Tor des Tierparks, ließ halten und stieg aus. »Ich werde etwas Ernüchterndes zu mir nehmen«, beschloß er bei sich.
    Ein wirres, zeterndes Gekreisch feuerfarbener und lasurblauer Aras und schneeweißer Molukken-Kakadus schlug ihm entgegen. Der Garten war nicht stark besucht. Hassan folgte gedankenlos dem ockergelben Pfad, der sich rechts von ihm in das Innere des Gartens schlängelte, und kämpfte gegen seine Trunkenheit. Mit der Zeit gab er diese Bemühungen auf und behagte sich in dem angenehmen Taumel zwischen Vernunft und Traumseligkeit.Er lehnte sich an ein Gitter. Über ihm, aus dem Blau, ertönte ein leises, mahlendes Schmatzen. Er blickte empor: da schwankte das

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