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Der Sang der Sakije

Titel: Der Sang der Sakije Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Seidel
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edle Haupt einer Giraffe wie eine Blüte auf hohem Schaft. Und diese Blüte neigte sich herab; die samtenen Nüstern öffneten sich leise schnuppernd, und die purpurbraunen Augen träumten aus steiler Höhe, entrückt in ihrer Einfalt. Eine erhabene Unschuld durchpulste das kolossale Tier. Da Hassan sich nicht rührte, hob sich das Haupt wieder empor; scharf abgezeichnet wie Blütenstempel wuchsen die kleinen Hörner aus der schmalen Stirn; die Linie des Halses, des abfallenden Rückens, der stelzenartigen, ungeschickten Beine war exzentrisch und fremdartig: gleichwohl aber schien sie erfüllt von edler Naturbefugnis und Zweckmäßigkeit ... Die Giraffe schritt langsam zurück und spreizte die Vorderbeine, um mit dem Haupte herabzugelangen. Die Schulterblätter traten markant hervor, während der Hals, zwischen sie gesenkt, in stumpfem Winkel abknickte. Ein erst wenige Tage altes Kalb trabte heran, flaumig und mit weichen, dicken Knorpeln, im Dämmerzustand frühesten Lichtgenusses ... Und die Zunge der Mutter schlappte es ab. Das Seelchen hielt es befriedigt aus; seine zarte Fleckenzeichnung leuchtete ...
    Hassan lächelte und gab einen Laut des Beifalls von sich. In seinem Innern klang eine selten berührte Saite auf; und dieser Ton stimmte ihn mild ... vorübergehend, und nicht ohne einen gewissen Humor, dachte er der Seijide, die nicht halb soviel mütterlichesEmpfinden besaß wie dieses Tier. Er sagte: »Saïda!« Er grüßte die Giraffe, die ihm mit ihren milden und unendlich toleranten Blicken folgte. Das Kalb hatte den Kopf an ihre Zitzen gesteckt und schlürfte. Währenddessen stand die Alte wie ein Monument, wie ein Markstein des Kreislaufes und zuchtvoller Pflichterfüllung ...
    Er ging nun weiter. Eine Familie von Antilopen mit Büffelköpfen und Pferdeschwänzen entzückte ihn: es waren apathische Gnus ... Sie verhielten sich so, als seien sie in eine chronische Verblüffung über sich selbst geraten; ihre schweren Köpfe hingen herabgezogen; sie peitschten mit den langen Schwänzen ihre schmalen Keulen und ihre mausgrauen Rückenmähnen, die eine Scheitellinie von sorgsamster Symmetrie zeigten ... ein Bulle mit blutunterlaufenen Augen stand abgesperrt und einsam in der Nähe und ließ seine lyraförmigen Hörner über das Gitter knattern ...
    Hassan ward von einer schelmischen Stimmung ergriffen. Auf einmal befand er sich in einer von großen Kakteen und Agaven gesäumten Allee, die mit Steinmosaik bedeckt war. Unterwegs traf er einen ganz jungen Elefanten, der sich in Begleitung eines schläfrigen Nubiers erging und seinen Weg mit erstaunlichen Quanten von schwarzgrünem Mist besprenkelte, und immer erheiterter lenkte Hassan seinen Schritt der Pelikaninsel zu.
    Noch bevor er hinkam, gelangte er an einen Käfig voller Kuhreiher, die mit einer drollig exakten Bewegungdie Hälse nach ihm drehten. – »Wo trifft man euch noch?!« dachte Hassan. Und er sah auf grünem Ackerland Hunderte von Büffeln, auf deren Köpfen und Rücken solche Reiherchen ehedem gehaust, als zierlicher Schmuck für das schiefergraue Vieh ... Und nun sind sie ausgerottet und gemordet, und ihre armen kleinen Federbälge kleben an den Hüten von Kaufmannsfrauen, die im Korso fahren ...
    Hassans Heiterkeit trübte sich für einen Augenblick, und er schüttelte bedauernd das Haupt. – Dann erreichte er das künstliche kleine Eiland, ließ sich im Pavillon nieder und bat um eine Tasse Kaffee. Zwischendurch blickte er über den sonnflirrenden Sumpf, der mit mattglänzenden Lotosblättern wie mit einem Teppich bedeckt war. Hellbraune Eisvögel mit weißen Brüsten standen schwirrend wie riesige Kolibris in der Luft und plumpsten auf der Fischjagd wie Steine ins Wasser. Auf einer kleinen Klippe, in einem Wald von Bambus, Papyrusstauden und Schilf regte eine Gruppe von Pelikanen ihre rosaschwarzen Schwingen. Sie hielten Siesta; sie blähten die Hautsäcke ihrer monströsen Entenschnäbel und lüfteten ihre prächtigen Federn. Zwischendurch, in eifersüchtigem Unmut, stießen sie einen Störenfried ins Wasser hinunter. Sie waren fürstlich rosenfarben, reizbar und reserviert. Es war ein Genuß, ihnen Beachtung zu schenken ...
    Es war ganz still. Schläfrige Glut lag auf dem verzweigten, von Tropenfarben wild durchblitzten Garten. Einige Frösche murrten ganz nahe dem Bei, dermatt an seiner Tasse sog. Irgendwo, fern von ihm, wie aus einer grünlohenden Gruft von Fikuslaub heraus, schrie jemand wie in Todesangst. Es war ein Gibbon; er schrie:

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