Der Saubere Tod
der Alchimie von Worten in der Erinnerung zum Mythos stilisierte, und Johann hätte sich nicht gewundert, wären plötzlich alle Menschen, die er in Berlin kannte, hinter einem Vorhang hervorgetreten, hätten sich ironisch lächelnd verbeugt und das Stück, das sie für ihn aufgeführt hatten, beendet.
Aber das einzige, was er hörte, waren die Wortkaskaden Horsts. Henna war verschwunden, und der halbe Menschwar nun völlig allein und verzweifelt; der Schatten, beraubt seines Herrn, das war noch ärger als ein Mensch ohne Schatten, und Horst war ein prallgefüllter Sack, der beim Anblick Marias aufriß und seinen Inhalt ausspie, einen polternden perlenden Strom von Worten, flüssig, in Klumpen bahnte er sich seinen Weg, überschwemmte das Zimmer, Worte und Sätze rieselten und schwappten aus dem halben Menschen, Worte, die nicht seine waren, die gar nicht zu ihm gehören konnten, Worte wie Mehl, und Horst hinkte in ihnen herum und hinterließ seine weiße Spur im ganzen Zimmer, der schiefe Körper wand sich und zuckte, erbrach die letzten Erinnerungen, das Sediment seiner Schmerzen, ohne Antwort oder Erklärung zu erwarten, und als er leer war, herrschte wieder Schweigen, wurde er wieder so still, wie Johann ihn in Erinnerung gehabt hatte.
Horst sah sich an, was er mitzunehmen hatte, und schulterte dann eine von Marias Taschen, als habe er eine neue Herrin gefunden. Maria stand auf. Sie betrachtete noch einmal ihr Zimmer.
Das war also das, sagte sie zu Johann. Er nickte.
Ich werde euch eine Karte schreiben, sagte Maria.
Du gehst jetzt, sagte Johann.
Maria lachte. Ja, ich gehe.
Viel Glück.
Danke. Dir ebenfalls viel Glück,
Gut, daß du mir noch alles erzählt hast.
Ich habe dir nicht alles erzählt.
Alles Wichtige, sagte Johann.
Selbst das nicht.
Alles Gute.
Maria strich ihm übers Haar und nahm die Tasche. Horst, der halbe Mensch, hielt ihr die Tür auf, nickte Johann zu und folgte ihr.
Johann blieb noch ein wenig in dem leeren Zimmer stehen.Er sah durch die schmutzigen Fenster hinunter auf den Innenhof, wo sich bräunliche harsche Schneeplatten zu den Rändern hin zurückzogen. Das Glas, gegen das er die Stirn lehnte, war kühl.
Am nächsten Morgen war er so früh auf, daß er Wolfgang beim Frühstück begegnete. Seit dem Streit zu Beginn von Johanns Krankheit sprach Wolfgang nicht mehr mit ihm, aber als Johann jetzt auf Barbaras Zimmertür zuging, hielt der Werbemann ihn zurück.
Sie ist nicht da, sagte er mit vollem Mund.
Johann wollte die Tür dennoch öffnen.
Sie ist gestern abend abgereist, sagte Wolfgang.
Wohin?
Nach Stuttgart. Zu den Terroristenprozessen, Stammheim. Zwei Wochen ist sie weg.
Johann nickte.
Immerhin nicht Beirut, sagte Wolfgang und stand auf. Und du?
Was ist mit mir? fragte Johann.
Du willst nicht auch weggehen?
Johann wollte aufbrausen, schwieg aber dann, und ein Gefühl großer Leichtigkeit überkam ihn, er konnte den anderen jederzeit auspusten wie eine Kerze. Er lächelte und sagte: Bald.
Wolfgang zuckte die Achseln und verließ die Wohnung.
Johann trank Tee. Draußen war es noch dämmrig, aber der große Raum war vom Neonlicht hell ausgeleuchtet und sauber. Die Wohnung lag schweigend da und war seltsam leer, Johann fühlte sich wie der letzte Mensch an Bord eines Schiffes. Er wusch sich, zog sich an und ging hinunter auf die Straße.
In den letzten Tagen hatte es getaut, aber in der vergangenen Nacht war wieder Frost gefallen und hatte das Dehnen und Recken der Stadt noch einmal mitten in der Bewegungerstarren lassen. Vor allen Läden standen Lieferwagen, Autos rollten vorsichtig mit müden gelben Scheinwerfern die Straße entlang, der Dieselgestank der beigen Doppeldeckerbusse mischte sich mit der eisigen Morgenluft zu einem Geruch von Arbeit und Aktivität, und die graue Wolkendecke verlor ihren Silberschimmer, wurde heller, und der anbrechende Tag zog die Konturen der Stadt mit dem Lineal nach. An den Kreuzungen standen Türken, rauchten gemeinsam und traten von einem Fuß auf den anderen, die Bürgersteige füllten sich, und gebeugte Frauen, die weißen Atem ausstießen, bahnten sich ihren Weg.
Johann ging die Oranienstraße hinab, überquerte den Heinrichplatz, vorbei an dem biodynamischen Obst- und Gemüseladen der schwäbischen Emigranten, vorbei an der grünen Bedürfnisanstalt, in Richtung Görlitzer Bahnhof, in Richtung auf den Innenhof am Ufer der Spree, am Ende der Pfuelstraße, wo es nicht mehr weiterging.
Es war Zeit. Sehen, wie jemand
Weitere Kostenlose Bücher