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Der Saubere Tod

Titel: Der Saubere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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zog ihn an mich ran.
    Hinterher ist er verschwunden, wie er gekommen war, Balkontür auf und zu und fort war er, und wir haben die ganze Nacht miteinander gequatscht, und ich habe immer die Bettdecke hochgehoben und drunter gerochen nach dem Geruch seines Spermas, das roch süß und gut und heiß. Elsa hieß sie, glaube ich, ja, Elsa. Sie hat Selbstmord gemacht vor ein oder zwei Jahren. Ich hatte sie aus den Augen verloren und hab es nur durch Zufall gehört.
    Von wem? fragte Johann.
    Von eben dem Neger. Ich hatte ihn seit der Nacht nicht wieder gesehen, und irgendwann kreuzt er bei mir auf, frag mich, woher er die Adresse hatte, und sagte, daß Elsa sich umgebracht habe. Er selbst war da auch schon nicht mehr mit ihr zusammen.
    Aber in dem Krankenhaus war es sehr lustig. Einmal hat unser ganzes Zimmer eine Protestaktion gestartet, weil man uns nicht erlaubte, in den Garten zu gehen. Ich, die dicke und die dünne Transsexuelle, Elsa und die Alte laut schreiend und singend durch die Gänge, durchs ganze Haus, eine trug die Flaschen der anderen, und es klimperte und klapperte und sah so komisch aus, fünf Weiber, daß wir irgendwann alle einen fürchterlichen Lachanfall bekamen, wir standen da und lachten und lachten, und die Dicke hielt ihren schmerzenden Bauch und die Dünne ihre schmerzende kleine Hängebrust, und wir konnten und konnten nicht mehr aufhören.
    Ist das alles lange her? fragte Johann.
    Das war noch vor den Besetzerzeiten, antwortete Maria.
    Sie hockten auf dem Boden in Marias Zimmer. Ihre Habe lag unter einem weißen Tuch in einer Ecke. Zwei Reisetaschen standen an der Tür. Johann schwieg und lauschte der Yello-Musik, die aus den kleinen Lautsprechern kam, die an Marias Walkman angeschlossen waren.
    Ich gehe fort, sagte Maria. Rote Erde. Stell dir vor, die Erde ist rot, und es gibt Farben, das ganze Land ist bunt, und Dinge wie Liebe, Romantik und Sehnsucht kennen sie dort nicht. Es ist immer warm, die Leute müssen nicht in Höhlen Unterschlupf suchen vor der Kälte, und deshalb fehlt auch der ganze Mythos, den es braucht, um ein halbes Jahr gemeinsam, zurückgezogen in Dunkelheit und in Felle gestopft, zu ertragen.
    Es ist also nicht nötig, sagte Johann.
    Dort nicht.
    Du bist richtig aufgeregt.
    Heute nachmittag geht mein Zug nach Frankfurt, sagte Maria. Und morgen früh das Flugzeug. Wie soll ich da nicht aufgeregt sein? Das ist mein Aufbruch ins Land der Wirklichkeit, endlich. Hier, das wollte ich dir noch zeigen. Ich hab’s lange aufgehoben.
    Sie nahm ein Stück rotes Kartonpapier aus ihrer Jackentasche. Auf dem Karton stand in Kinderdruckbuchstaben: Afrika. Ein geschlängelter blauer Wollfaden war aufgeklebt, daneben stand Nil. Kleine Straßsteinchen waren als Oase oder Timbuktu gekennzeichnet. Auf der Rückseite stand: Damit du dich nicht verirrst. Dein Zoss.
    So lange schon? fragte Johann.
    Maria nickte. Sie sah auf das Kärtchen und zitierte: Der Blick auf das Gelobte Land, das man sich selbst erobert hat und das kein Gott mehr streitig machen kann – ein Augenblick des Menschen.
    Johann schwieg und blickte aus dem Fenster auf den Innenhof. Vier Tauben flogen einen Kreis und ließen sich auf dem gleichen Baum nieder, von dem sie gestartet waren.
    Es klopfte an der Tür. Johann erkannte den Eintretenden sofort. Die Seite seines Körpers, die er Johann zuwandte, war völlig normal, aber er hinkte, und als er sich umdrehte, wurde die rudimentäre andere Hälfte sichtbar, zusammengeschnurrt, verwachsen, verzerrt. Es war Horst, der halbe Mensch, der, ohne Johann zu beachten oder wiederzuerkennen, auf Maria zustolperte, sie umarmte und zu sprechen begann.
    Johann konnte sich nicht erinnern, an jenem Abend im Nachsommer auch nur ein Wort von Horst gehört zu haben, er war Hennas Schatten gewesen und hatte den ganzen Abend über geschwiegen. Um so erstaunter lauschte Johann jetzt dem Wortschwall, dem nur schwer zu folgen war, denn eine Hasenscharte oder eine Mißbildung des Rachens machte seine Äußerungen fast unverständlich. Und was hatte der halbe Mensch mit Maria zu tun? Sie mußten einander schon lange kennen, denn immer wieder kam die Rede auf alte gemeinsame Zeiten, die Danckelmann-, die K 3-, die Willibald-Alexis-Zeiten. Die Vergangenheit und die Stadt zogen sich vor seinen Augen zusammen, jeder schien einmal jeden gekannt zu haben, und wo jeder jeden kannte, war Kleinstadt, ein kleiner Zirkel mußte es trotz allem gewesen sein, eine kleine Gruppe doch nur, die ihre Abenteuer mit Hilfe

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