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Der Schacht

Der Schacht

Titel: Der Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David J. Schow
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Dienstmütze weit in den Nacken geschoben, damit sie ihr nicht über die Augen fiel und ihr die Sicht nahm. Stallis hatte einen sehr breiten Schädel gehabt. Das war nicht das erste Mal, dass sie seine Mütze trug; ein- oder zweimal hatte er sie gezwungen, sie aufzusetzen, während er seine eigene schmutzige Form von Freilassung gegen Kaution an ihr auslebte. Jamaica hatte während ihrer Bekanntschaft mit Stallis von ihm mindestens genauso viel unter wie über der Gürtellinie zu sehen bekommen.
    Bei dem Sturm war es völlig unmöglich, auszumachen, wer in dem Oakwood-Polizeiwagen saß. Die Sicht war gleich null. Aber die Schuldgefühle und die Paranoia trieben sie doch dazu, zusätzlich die Mütze aufzusetzen.
    Der Versuch, durch den unablässigen Ansturm des Schneetreibens etwas zu erkennen, war vergleichbar mit einer Fahrt durch Brandungswogen. Das linke Vorderrad brach in ein zugefrorenes Schlagloch ein. Bei dem Ruck umklammerte Jamaica das Lenkrad so fest, dass einer ihrer Fingernägel abbrach. Grauer Schneematsch spritzte gegen die Windschutzscheibe und gefror sofort. Die Scheibenwischer holperten darüber hinweg, bis der Enteiser das Zeug wieder gelöst hatte. Der trübe Belag brach auseinander und rutschte weg.
    Irre Geschichten zerplatzen auf ähnliche Weise an ihrem Verstand. Billige Ausflüchte, wie bei einer Ratte.
    Es war unwahrscheinlich, dass sie in so einer Nacht erwischt würde – dass Oakwoods Schergen von Recht und Gesetz sie zur Seite winken und anhalten würden. Das Wissen darüber linderte ihre Angst aber nicht und machte sie auch um nichts weniger real und allumfassend. Was konnte sie den Männern mit den vielen Fragen denn sagen, wenn die sie erwischten? Dass es im Kenilworth Blut und Gewalt gegeben hatte … dass sie kein Telefon finden konnte … dass sie in den Schneesturm hinausgestürzt war, und da hatte dann der Streifenwagen gestanden und die Schlüssel steckten … vielleicht würden sie ihr ihre wilde Geschichte eher glauben, wenn sie den Wagen als Beweisstück gleich mitbrachte?
    Kurz gesagt, sie würde ihnen erzählen, sie wäre in Panik geraten.
    Das waren alles solche Macho-Scheißkerle auf der Wache von Oakwood, denen würde so richtig einer abgehen bei dem Gedanken, dass die kleine Jamaica, die taffe Schwanzlutscherin, ihre Fassung verloren hatte und wie ein verängstigtes Kaninchen abgehauen war. Da sieht Mann’s wieder. Frauen.
    Selbst mit der Servolenkung waren abschüssige Kurven ein Problem. Sie spürte immer wieder, wie der schwere Wagen mit dem Heck ausbrach und eingeparkte, schneebedeckte Wagen andätschte. Sie hatte nicht die Nerven, das Blaulicht oder die Sirene anzustellen. Wozu auch? Um diese Zeit gab es keinen Verkehr mehr, den man von der Straße scheuchen konnte. Sie hatte den Schalter für das Funkgerät gefunden und es ausgestellt. Das Geschnatter der Stimmen war etwas, was sie zurzeit nicht vertragen konnte. Manchmal waren noch Meldungen durch das Banshee-Geheul der statischen Interferenzen gedrungen. Alle Stimmen auf diesem Kanal klangen verzerrt, und sie hatte keine Lust auf die Gesellschaft von Geistern, die ihr noch mehr Schuldgefühle einflößten, als sie bereits hatte.
    Jamaica fuhr nahezu blind. Der Heckscheiben waren vollkommen vereist. Sie riss das Steuer hart nach rechts herum, stieß sich die Lippe am Lenkrad blutig, als sie fühlte, wie der Kühlergrill sich in die Fahrerseite eines Lincoln bohrte, der halb begraben in einer Schneewehe stand. Der Aufprall setzte sich durch ihr Rückgrat fort. Jetzt musste sie schalten, zurücksetzen, sich einen neuen Weg suchen. Sie war während der ganzen Fahrt nicht über 40 Stundenkilometer gekommen … und sie würde es auch für den Rest der Strecke nicht. Die viertelstündige Fahrt hin zu Bauhaus gewundener Auffahrt kostete sie fast eine Stunde.
    Sie fühlte, wie ihr der Schweiß ausbrach. Die Chancen waren hoch, dass sie nach den ganzen Dingen in dieser Nacht ein paar Jahrzehnte in einer Zelle mit einer Toilette ohne Deckel verbringen durfte. Sie war bis zum Hals in die ganze Scheiße verwickelt, und wenn sie schon dazu bestimmt war, zu riskieren und zu verlieren, dann sollten ein paar Dinge klar sein, bevor sie aus dem Verkehr gezogen wurde.
    Nummer 1: Nur ganz wenige Leute auf der Welt wussten, wie man sein eigenes Schicksal in den Griff bekam. Für den Rest blieb das Leben ein unergründliches Mysterium. Sie saßen da und warteten darauf, dass etwas von außerhalb eingriff und ihnen all ihre

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