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Der Schacht

Der Schacht

Titel: Der Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David J. Schow
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Lake Michigan herunterpfeift und die fühlbare Kälte auf zwanzig Grad unter null bringt – Temperaturen weiter fallend. Dazu die blauen Funken des Stromabnehmers in der Dunkelheit und ein Penner, der besoffen in einer Lache seiner eigenen Kotze liegt. Für Boner ist Chicago ganz schön cool.
    Er kramt eine schmierige Haschpfeife hervor und setzt den Bodensatz der Messingpfanne in Brand. Seine Lungen nehmen einen vollen, kräftigen Zug, ohne sich zu verkrampfen, um die dichten Dämpfe wieder auszuhusten. Seine Pupillen flackern, sein Hirn signalisiert Entspannung.
    Alles, was sich rauchen, schießen oder schniefen lässt – das ist Boners Fach. Er hat da weitreichende Geschäftsbeziehungen. Er dealt immer nur mit dem Besten, weil er dafür bekannt ist, weil er die Connections hat und weil man deswegen zu ihm kommt. Du brauchst irgendwas? Wenn du Boner nicht kennst, hast du verpennt. Er lächelt bei dem Gedanken, diesmal vorsichtiger. Seine Lippe verkraftet das. Die Kälte hilft und betäubt den sanft pochenden Schmerz.
    Licht bricht sich auf der Eiskruste des Ortsschildes, als die El vorbeidonnert. Nur die Einheimischen wissen, dass auf dem Schild OAKWOOD steht und dass darunter eine Bevölkerungzahl angegeben ist, die schon seit mehr als zehn Jahren nicht mehr stimmt. Boner genügt es, über Oakwood zu wissen, dass ein paar der begrünten Vorstädte dazugehören, in denen Yuppies wohnen, die sich tagsüber ihren Arsch in den Wolkenkratzern der Innenstadt platt sitzen. Hier stehen alte Häuser. Alles ist von Frank Lloyd Wright angehaucht; baumbestandene Alleen und niedliche Namen, die ein Gefühl für die Biederkeit der Jahrhundertwende zurückholen sollen. Zu viele Scheißkirchen und nicht genügend Kneipen. Oakwood ist offiziell eine trockene Gemeinde, man kann nicht einmal im Supermarkt Bier kaufen. Für Boner sehen die Getränkereihen in den Kühlautomaten irgendwie unvollständig aus. Auf dem Stadtplan ist Oakwood ein ausgestorbenes Rechteck mit vornehmen Immobilien, das von Kneipen, Schnapsläden und Nachtlokalen völlig eingekesselt ist – die Straßen, die Oakwoods Grenzen markieren, sind eine wirkliche Trennlinie. Dein Recht zum Trinken beginnt und endet an der durchgezogenen Mittellinie. Boner hält das für einen albernen Witz. Genau wie die Geschäftsleute, denen die Alkohollizenzen rundherum gehören.
    Aber irgendwer muss auch die Regale der alkoholfreien Supermärkte auffüllen, den Müll der Reichen einsammeln und dafür sorgen, dass man sich seines gehobenen Status immer bewusst sein kann, und deswegen bilden auch die Gleise der State Street El eine der vielen Trennlinien von Oakwood. Der Süden – auf der anderen Seite der Gleise – ist die Kehrseite dieser Heimstatt für die Privilegierten. Jede Gemeinde, egal, wie protzig, hat ihre Sozialwohnungsgegend. Oakwood hat die Garrison Street. Dort lebt Boner. Damit ist er direkt um die Ecke von der Oakwood High School, einer seiner Haupteinnahmequellen. Die Geschäfte laufen gut.
    Er atmet eine Wolke stechenden Rauches aus und überlegt sich, dem Penner einen Tritt zu versetzen, weil er in Kürze aussteigen muss. Ein kurzer Kick, so zum Abschied. Zwei Schritte, und er rammt seinen Stiefel hart in den Körper des Penners. Strike! Der Mann krümmt sich mit einem Grunzen zusammen. Urrgh. Kotze rinnt aus dem erschlafften Mund. Sie dampft in der Eiseskälte des Waggons. Lebt also noch! Ein Wunder, denkt Boner.
    Er schreibt EAT ME mit einem silbernen Lackstift auf die Stirn des Penners und tänzelt dabei um ihn herum, damit er sich die Stiefel nicht mit Erbrochenem besudelt. Die nächste Haltestelle ist seine. Er schlurft davon.
    Soweit er weiß, ist das Markieren von Pennern ganz allein seine Erfindung.
    Um drei Uhr morgens ist die Haltestelle Garrison Street wie ausgestorben. Wer hätte so etwas gedacht? Das Glas der Eingangstür ist durch Industrieplastik ersetzt worden und hat bisher standgehalten, aber einer der Türflügel steht offen gegen den eisigen Wind und hängt in einer gebrochenen Angel. Irgendein frustrierter Pendler hat wieder einmal den Hörer aus dem Münzfernsprecher gerissen. Boner guckt gar nicht erst nach, ob noch Wechselgeld zu holen ist. Warum sollte er? Er hat mehr als fünfhundert in bar in der Tasche, hübsche neue Hunderter.
    Niemand schläft in dieser Nacht im Schutz der Haltestelle. Leichen Erfrorener liegen auch keine herum.
    Boner saugt das letzte Fünkchen Leben aus seinem Haschkrümel und verstaut die Pfeife dann wieder.

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