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Der Schacht

Der Schacht

Titel: Der Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David J. Schow
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Möglichkeiten vor Augen führte – sei es der Tod, eine göttliche Intervention, eine Sucht oder ein Lotteriegewinn. Ihr winziges Appartement in Elmwood Park war ein ›Studio für die alleinstehende Frau‹. Hier zog sie sich abgewetzte Trainingsanzüge an und machte Dehnübungen vor einem uralten JVC-Fernseher, der eigentlich hinüber war. In dieser Wohnung trug sie Gewichte an den Unterschenkeln, kochte sich Hibiskustee und überlegte sich, ob sie sich einen CD-Player zu Weihnachten leisten sollte. Hier las sie nie die Zeitung und sah sich nie die Nachrichten an. Sie schlief in bunt bedruckter Bettwäsche auf einem gebrauchten Bett, das sie einer anderen Prostituierten abgekauft hatte. Wenn sie schlief, hatte sie manchmal Albträume. Die waren nie sexueller Natur.
    Jonathan – der bedauernswerte Jonathan – hatte gar nicht gewusst, wie wichtig es für sie war, in der Nacht, in der Cruz festgenommen worden war, nicht in ihr Studio zurückgehen zu müssen. In dieser Nacht war der Kontakt lebenswichtig gewesen. Der Kontakt zu einem anderen menschlichen Wesen. Und Jamaica kannte niemand anderen, der als das durchgehen würde.
    In ihrer Wohnung duschte sie immer sehr lange. Sie badete dort nie. Bei Jonathan war das Bad keine Bedrohung gewesen.
    Wenn sie sich selbst im Spiegel ansah, dann dachte sie tragikomische Dinge. Sie beurteilte ihre Vagina als »arbeitstauglich«. Sie fragte sich, wie viele Liter Sperma sie schon »abgefertigt« hatte. Wie viel Mundwasser sie bis zum Ende ihres Lebens verbraucht haben würde. Ob sie jemals ein regelmäßiges Quantum Schlaf zu Nachtzeiten bekommen würde. Ob es so etwas wie Liebe außerhalb von Kitschromanen gab.
    Das pharmazeutische Unterhaltungsangebot war ein großer Negativ-Faktor. Sie verbrauchte zu viel von dem Großen Weißen Pulver. Wie viele Kilo, wenn schließlich ihr Lebenskonsum addiert wurde? Bauhaus war generös und großzügig mit dem Zeug und hetzte seine Lieblinge einem schnellen Ausbrennen entgegen. Für Bauhaus waren andere Leute Spielzeuge. Man zog sie auf, sie machten ihre Männchen, und irgendwann gingen sie kaputt. Vor allem dann, wenn man hart und häufig mit ihnen spielte.
    Es war unfair, so fand sie, dass Bauhaus wahrscheinlich immer noch schalten und walteten würde, lange nachdem sie im Grab verrottet war.
    Für Bauhaus war sie nichts anderes als seine Onyxtischplatte und sein Großbildfernseher oder seine Flotte aus Limousinen und kleinen überteuerten Sportwagen.
    Nummer 1 ließ sich zu einer simplen Aufgabe zusammenfassen: Mach Bauhaus fertig. Und Parasiten wie ihn. Hatte sie auf der Überholspur nicht genügend Pferdescheiße abbekommen, um zu wissen, wie billig der Glitter war und wie hoch die wahren Kosten wirklich waren?
    Nummer 2: Halt deinen eigenen Niedergang auf. Ändere dich. Mach Schluss mit allem. Rette dich. Sieh dir an, was mit Jonathan passiert ist.
    Nummer 3: Wenn Leute wie Jonathan sterben mussten … sollte das dann nicht wenigstens einen Sinn haben?
    Nummer 4: Wenn du dabei draufgehst, wird das irgendjemanden kümmern?
    Es hatte sich alles zusammengeballt und verlangte jetzt nach einem Höhepunkt, einem Showdown. Einem beherzten Willensakt. Sie musste irgendetwas gegen all das unternehmen, und ihre Handlungen würden den Grundstock ihrer ganzen Existenz verändern. Es war Zeit, sich nach anderen Weidegründen umzusehen. Man packte entweder schon vorher oder man wartete wie ein Schaf, bis das ganze Gebäude der alten Existenz einem über dem Kopf zusammenbrach.
    Der ausschlaggebende Punkt, mehr als irgendein einzelnes Unrecht, war der Blick in Cruz’ Augen vor ein paar Minuten gewesen. Sein krankhafter, kaum noch zu unterdrückender Drang, sich über das Kilo Koks auf Jonathans Toilette herzumachen und es sich reinzuziehen – sofort, jetzt augenblicklich, ich habe keine Minute mehr zu verlieren, bevor ich den Löffel abgebe.
    Die Augen von Cruz sahen in dem Kokain nicht mehr eine Goldgrube. Ihre Pläne, diese überhebliche Mischung aus Panik und Knastverzweiflung, waren mit Jonathan abgestürzt und den Bach hinuntergegangen. Sie musste sich selbst am Schopf aus diesem Schlamassel herausziehen. Das hieß, Cruz nur dann zu retten, wenn noch etwas zu retten war. Wenn die Drogen ihr dabei wieder in die Quere kamen, dann musste sie auch ihn als Hindernis zur Seite fegen.
    Sie wäre beinahe an der Auffahrt von Bauhaus vorbeigefahren; der Streifenwagen fuhr jetzt gegen den Wind, und ihr Abblendlicht auf dem entgegenkommenden Schnee

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