Der Schacht
Verhältnisse schon sehr fantasievoll war – blickte er auf und sah den blutigen Spalt in der Wand nahe dem Fenster. Er war um fast einen Meter von seiner ursprünglichen Position weggewandert, auch wenn Cruz das nicht wissen konnte.
Er murmelte etwas reflexartig vor sich hin, was nicht jedermanns Ohren zuträglich war.
Der Spalt ähnelte einem Schnitt durch festes Fleisch, wobei hier Tapete, Verputz, Kleister und Isoliermaterial den Platz von Haut einnahmen. Der Spalt transpirierte Blut wie Schweißtropfen. Nicht wie aus einem Riss – es quoll nur heraus und lief an der Wand herunter. Wenn man die Ränder des Spaltes zusammendrückte, dann kam ein wenig mehr.
Cruz nahm eines von Jonathans Taschenbüchern und schob es zwischen die Lippen des Spaltes. Es hatte ungefähr die passende Größe. Blut sammelte sich, um die Höhlung zu schmieren. Cruz ließ Jonathans Exemplar von Der letzte innige Kuss los, und es wurde gierig verschlungen. Schlurps. Weg war es.
Dann schloss sich der Spalt, als ob ein Durchgang in die entgegengesetzte Richtung ihn zufriedenstellen würde, und verschwand. Es blieb nur eine Narbe auf der Tapete und ein Spritzer Blut auf dem Boden. Während Cruz zusah, schloss er sich vollständig. Cruz starrte hin und blinzelte nicht ein einziges Mal. Die Katze sah auch zu, gelangweilt. Für sie war das nichts Neues.
Cruz in der Hocke eingeknickten Beine gaben nach, und er fiel auf den Arsch.
Und wieder die sinnlosen Kraftausdrücke. Ihre Bedeutung ging in Richtung: Was für eine gottverfluchter Scheißdreck geht hier ab?
Die stehende Ovation in seinem Nasentrakt begann abzuebben. Es wurde nach einer Zugabe gefragt. Cruz bestäubte seine Nasenscheidewand und benutzte die Überreste, um sich sein Zahnfleisch damit einzureiben. Er durchwühlte Jonathans Küche, fand ein paar Plastiktüten und versiegelte das Paket wieder. Weiteres Suchen brachte Jonathans Rucksack zutage, in dem er das Kokain, die Sig Sauer und die übrige Munition verstaute.
Er wollte das Kokain nicht zu seinem Rendezvous mit Jamaica durch die Straßen schleppen. Er würde es in dem Loch beim Fahrstuhl verstecken, und dann konnte Bauhaus suchen, bis er schwarz wurde. Er konnte dann mitten in der Nacht zurückkommen, es holen und sich aus dem Staub machen. Das war doch mal ein Plan.
Er musste sich überlegen, wie er den Fahrstuhl dazu bringen konnte, mitten zwischen den Stockwerken anzuhalten. Vielleicht konnte er vom zweiten Stock aus auch einfach durch die Dachluke klettern und so an den geheimnisvollen Hohlraum herankommen. Dazu brauchte er aber einen Stuhl oder so etwas, um sich da durchzuwinden. Sein Arm schmerzte jetzt nicht mehr so, und vielleicht konnte er ihn für einen einzigen, lebensrettenden Aufschwung aus der Schlinge nehmen.
Er schloss die Wohnungstür hinter sich und hörte, wie sie ins Schloss fiel. Cruz beschloss, wenn der Fahrstuhl so weit mitspielte, dass er bis zum zweiten Stockwerk stieg, wenn man ihn von hier aus rief, dann würde er ihm vertrauen … zumindest für den Augenblick.
Die Motoren stöhnten, und er lauschte, wie der Fahrstuhl nach oben klapperte und quietschte. Gott allein mochte wissen, in was für einem Zustand die Kabel waren.
Als die Türen sich öffneten, verzichtete Cruz auf seinen Plan, einfach einzusteigen. Der verschwundene Velasquez-Junge wartete da auf dem Boden der Kabine auf ihn. Jedenfalls eine Hälfte des Kindes.
25.
Wann genau war aus diesem Film plötzlich eine Komödie geworden?
Wie nannte man, so fragte sich Jamaica, einen Stoff, der so absurd war, dass man ihm nur noch mit albernem Kichern begegnen konnte … jedenfalls so lange, bis man bemerkte, dass man selbst an dieser Absurdität schuld war?
Eine starke Windbö rüttelte an dem Wagen, und sie korrigierte mit dem Lenkrad. Ein rutschfester Bezug war über das Lenkrad gezogen, und der Wagen hatte Servolenkung. Aus der Lüftung kam heiße Luft in dicken Schwaden. Mechanische Luft. Auch eine Errungenschaft der Zivilisation.
Ihr Verstand spulte im Vorlauf all die Dinge herunter, die auf ihrem Vorstrafenregister stehen würden: Beihilfe zum Totschlag; schuldig des Besitzes von narkotischen Drogen zum Zweck des Verkaufs; Besitz einer unregistrierten geladenen Feuerwaffe; Waffendiebstahl; nochmal Beihilfe, und wieder zum Totschlag, diesmal an einem Polizisten; Autodiebstahl; Diebstahl von Polizeieigentum; Verlassen eines Tatortes; Mama nicht angerufen haben.
Sich als Polizist ausgeben. Haha.
Sie hatte sich Stallis
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