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Der Schacht

Der Schacht

Titel: Der Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David J. Schow
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angeschmiegt, immer noch in Unterhose und Socken.
    Sein linker Arm war um sie geschlungen und lag zwischen ihren Unterarmen. Seine Hand hatte es sich direkt unter ihrem Kinn gemütlich gemacht. Als er vorsichtig versuchte, den Arm zurückzuziehen, verstärkte sich ihr Griff im Schlaf. Bleib bei mir. Er konnte fühlen, wie sie atmete. Unter dem Schlafsack verströmte ihre geschrubbte Haut ein kitzelndes Aroma, bei dem er die Augen schließen und ins Traumland zurückkehren wollte, um nie wieder zurückzukommen.
    Aber dann wäre er im versteinerten Herzen von Oakwood erstarrt.
    Jonathan wollte lieber sterben. Das Geräusch, das ihn aufgeweckt hatte, war selbst wie ein Herzschlag.
    Bum-cha-bum-cha-cha. Er verglich den Rhythmus mit dem des Blutes, das in seinen Adern pulsierte, dem Widerhall seines eigenen Herzmuskels. Bum-bum-bum-cha. Bum-bumcha-cha-cha.
    Zuerst war es ein Viervierteltakt, dann fast schon ein Rap-Beat. Es schien aus den entfernteren Mauern des Gebäudes in seine Richtung zu dröhnen; entfernt, schwach und leicht von den Geräuschen aus den anderen Appartements zu übertönen. Vielleicht wurde das Geräusch durch die Balken und die Backsteine aus den Räumen auf der entgegengesetzten Seite des Hauses übertragen, so wie die Akustik in Canyons. Vielleicht kam es auch aus den anderen Stockwerken.
    Ein harter und ein weicher Klang. Dann hart-weich-weich. Dann hart-hart-weich-hart-hart-weich. Und dann von vorne. Jetzt jedes Mal die gleiche Kadenz. Es stabilisierte sich.
    Sein Verstand versuchte, eine Erklärung zu finden, damit er es wieder vergessen konnte. Kenilworth Arms war seiner Berechnung zufolge in vierzig oder mehr Wohneinheiten aufgeteilt und zerstückelt worden. Die Wände, die nicht von Anfang an dagewesen waren, waren dünn wie Pappe. Kurzfristige Mietverhältnisse und ungewöhnliche Lebensweisen waren Faktoren in einer Gleichung, deren Produkt dieser Grundrhythmus bildete: Bum-cha, hart-weich. Irgendwer irgendwo in dieses Gebäude würde immer irgendwelche Melodien produzieren, egal, zu welcher Tageszeit. Oder würde sich irgendwelche Late-Night-Sendungen im Fernsehen ansehen. In einem Haus wie diesem war irgendwer immer wach und sah sich etwas an oder hörte sich etwas an oder stritt sich gerade mit irgendwem. Wenn Jonathan hoffte, irgendwann einmal seine Ruhe zu finden, solange er in diesem Kasten bleiben musste, dann musste er sich wohl oder übel an diese Maxi-Dance-Fassung gewöhnen – uh huh uh huh bum-cha-cha.
    Das Geräusch gehörte nicht zu dem Durcheinander von Salsa und Heavy Metal, dem Jonathan sich in den Stunden zuvor ausgesetzt gesehen hatte. Und es war auch nicht das übliche Geräusch der Bewohner oder von deren Gästen, die die engen Treppenfluchten herunterpolterten, in dem metronomischen Rhythmus des American Way of Life unterhalb der Armutsgrenze. Es war auch nicht der Verkehr draußen. Jedes Geräusch konnte es übertönen. Aber es war immer da, wie eine Grundfarbe, die unter den zwei Dutzend billigen Farbschichten verborgen lag, die Fergus, das Faktotum, über alle Türen und Wände des Hauses zu klatschen pflegte.
    Ein einsames Auto schlidderte über die Garrison Street und knirschte durch den Schnee. Jonathan verlor die Verbindung zu dem geheimnisvollen Geräusch – dem Herzschlag des Gebäudes, wie er meinte.
    Bum-cha.
    Vor seinen Augen stand wieder das Bild der Katze, die sich das Blut von den Schnurrhaaren gewischt hatte, als er aus dem Badezimmer kam. Das Blut stammte nicht von ihr. Wahrscheinlich von einer Ratte oder einem anderen kleinen Ungeziefer, wie es Katzen so gerne quälen, bevor sie es töten.
    Jetzt seufzte Jamaica und drängte sich näher an ihn. Ihr Hintern schmiegte sich an seinen Schoß. Sie suchte nach seiner Wärme, so wie eine Pflanze sich fototropisch nach dem Licht reckt.
    Jonathan war erst seit wenigen Augenblicken wach. Er stellte fest, dass die Knopfleiste seiner Unterhose eine gewaltige Erektion vor der Außenwelt verbarg. Er musste sich von Jamaica losmachen, um sich Erleichterung zu verschaffen.
    Im Badezimmer war es nach all dem Dampf klamm. Jonathan fühlte einen Luftzug, als er an der Lichtschnur über dem Waschbecken zog.
    Der Duschvorhang bewegte sich leicht. Nicht wirklich ein Luftzug, eher eine diffuse Zirkulation. Er zog den Vorhang zur Seite und entdeckte, dass das Pappstück leicht aus dem Fensterrahmen verrutscht war, die oberen Ecken verbogen, so als sei von außen dagegengeschlagen worden. Er grübelte kurz darüber nach,

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