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Der Schacht

Der Schacht

Titel: Der Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David J. Schow
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viel aufregender werden, wenn er vorher eine Prise Schlaf nehmen konnte.
    Er sah zu Boden und bemerkte, dass die Katze am Ende einer Spur von dunklen, feuchten kleinen Katzenpfoten auf ihn wartete.
    Du wirst es nicht glauben, was ich gerade gefunden habe.
    Sie leckte sorgfältig Blutstropfen aus ihren Schnurrhaaren. Offensichtlich gefiel ihr der Geschmack.

15.
    Morgen.
    Im Vergleich mit anderen Vorstädten kommt einem Oakwood selbst bei Tag wie ein verwunschener Ort vor. Jonathan glaubt, dass es wohl nur am Winter liegt, dessen Gewalt er nicht gewohnt ist, aber es gehört mehr als nur Schnee und Kälte dazu, einen Ort so unwirtlich erscheinen zu lassen. Er kann ihn sich nicht wärmer vorstellen, nicht einmal im schönsten Sommersonnenschein.
    Die Straßen hier scheinen so verlassen wie die Korridore einer alten Südstaatenvilla, die man den Spinnenweben und den Schimmelpilzen überlassen hat. Gegen Mittag leistet die Blässe der Stadt Widerstand gegen die seltenen Durchbrüche des Sonnenlichts; gegen Mitternacht, wenn die künstlichen Lichter der Straßenlaternen dem Schnee und der Stille die Sterilität eines Krankenzimmers vermitteln, arrangieren sich die Schatten zu einer unbarmherzigen Farbverteilung, die nicht zu einer natürlichen Szene, sondern nur zu einem Stillleben gehören kann. Angehaltenes Leben. Die wenigen Fußgänger oder Autofahrer, die es wagen, sich hier sehen zu lassen, scheinen von irgendwo außerhalb der Grenzen dieses trockenen Ortes zu stammen, und sie sind auf dem Weg zu Zielen, die weit weg von Oakwood liegen. Diese imaginäre Grenzlinie sperrt einen großen Teil der Realität aus. Die Bewohner schlafen hier so tief wie Vampire im Winterschlaf, eingehüllt in Spießigkeit und isoliert durch die Fernsehkobaltstraßen des alltäglichen Trotts.
    Sie schlafen nicht einmal in einem richtigen Teil von Chicago.
    Die Fassaden der Häuser an der Kentmore und der Garrison Street sind so ausdruckslos wie die Gesichter einer Busladung von Mongoloiden. Die Architektur ist abwechslungsreich und gotisch, aber in der Art eines spielerisch ausgeführten, verschnörkelten Grabsteins. Die Konstrukteure und Handwerker waren lebendig und agil … aber das war vor langer Zeit. Die Häuser, Monumente, verbleiben eingelullt im jahreszeitlichen Koma, mit der Reglosigkeit der Totenstarre. Irgendwo, begraben unter meterhohen Schneebergen, sind Beton, Fußwege und Rinnsteine, Zeichen einer vergangenen Zivilisation, die auf ihre Ausgrabung wartet. Die Augen der Spaziergänger, die an Jonathan vorübergehen, blicken nicht gefangen, sondern gehetzt; noch nicht ganz tot, aber in gequälter Agonie. Sie zucken zusammen, wenn ein anderes menschliches Wesen an ihnen vorübergeht, nicht vor Angst, sondern weil sie zu völliger Leblosigkeit erstarrt sind.
    Jonathans Intellekt verrät ihm, dass dies kein Ort für diejenigen ist, die am Leben Interesse haben.
    Wenn das Tageslicht hier eindringt, verleiht es den entlaubten Bäumen eine friedhöfliche Atmosphäre. Sie strecken sich immer noch, wie Skelette, gegen einen Himmel, der keine Fotosynthese mehr erlaubt. Die toten Blätter, die noch an ihnen haften, haben ihre Herbstschattierungen verloren und sind jetzt völlig schwarz. Wenn Jonathan sich den eisengrauen Himmel ansieht, den überfrorenen Schlamm, die schwarzen Blätter, dann muss er wieder an die Erzählung über Usher denken.
    Nicht nur der Himmel, auch der Niederschlag selbst ist grau – die fleckige Farbe ungereinigten Elfenbeins. Dicke Tropfen, eisig kalt, platschen durch den Schneeregen. In dieser Kombination kühlt das bis ins Mark aus. Jonathan fühlt die Kälte nicht mehr, und der Regen berührt und beschmutzt Amanda nicht mehr, die auf ihn niederstarrt. Er ist völlig verquer in eine Kiste gesteckt, die zu klein für ihn ist. Ihre Augen blitzen wütend. Wenn er so dringend in die Horizontale gelangen wollte, so sagen sie ihm, dann soll es ihr recht sein. Sie sucht sich die besten Blüten aus den Blumenarrangements, während der Sarg sich schnell mit Regenwasser füllt. Nasse Seide ist scheußlich. Amanda lächelt, behält die Blumen für sich selbst und sieht ungerührt weiter zu, wie das eisige Wasser steigt, bis es Jonathans offene Augen bedeckt.
    Niemand passt nach Oakwood. Aber die meisten bleiben. Jonathan passt hier nicht hin, genauso wenig wie Bash, wenn man das recht betrachtet. Oder wie Cruz oder Jamaica.
    Jonathan wünschte, er könnte jemanden retten.
     
    Er erwachte und war eng an Jamaicas Rücken

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