Der Schädelring: Thriller (German Edition)
wirklich an Dinge, die das Gehirn zu vergessen versuchte?
Sie erhob sich und ging ins Wohnzimmer zurück und ließ die kleine Schachtel in ihrer Hosentasche verschwinden. Sie hielt die Hände in den Taschen, um die Wölbung zu verbergen. Mitchell würde sie womöglich des Diebstahls bezichtigen, wenn er die Schachtel sähe, und wenn sie ihm zu erklären versuchte, dass sie ihr gehörte, müsste sie womöglich mit ihm ihre Vergangenheit durchgehen. Es war einfacher, sich verrückt zu stellen. Sie ließ die Schultern sinken und versuchte, müde, erschöpft und desorientiert auszusehen. Es war keine schwierige Rolle.
Mitchell hielt das Fenster hoch, als sie ihr altes Schlafzimmer betrat. Sein Mund verzog sich zu einer dünnen Linie. „Bist du eigentlich übergeschnappt?“ sagte er, ohne eine Spur Zuneigung in seiner Stimme. „Willst du, dass ich in einen Fall von widerrechtlichem Betreten verwickelt werde? Was glaubst du, wie das meinen Ruf ruinieren würde?“
Dein Ruf besteht aus Edelstahl, Mitchell. Kalt und glänzend und unverwüstlich. Genau wie dein Herz.
Sie lächelte schwach und schaute zu Boden. „Ich wollte nur das Haus sehen.“
Mitchell seufzte. „Komm schon, komm heraus, bevor dich jemand sieht.“
Sie kroch durch das Fenster, während Mitchell es offen hielt. Die Schachtel schlüpfte nach oben, aber es gelang ihr, sie wieder zu verbergen.
„Deine Haare sehen furchtbar aus“, sagte Mitchell. Er ließ das Fenster nach unten gleiten und rieb sich die Hände sauber. „Ich hoffe, dass sie nicht nach Fingerabdrücken suchen.“
„Ich habe alles so gelassen, wie es war“, sagte sie. Sie hoffte, dass Mitchell sie nicht anstarren und die Schachtel sehen würde. Sie brauchte sich jedoch nicht zu sorgen. Mitchell hatte sie schon seit langem nicht mehr richtig angeschaut, jedenfalls nicht um herauszufinden, wer sie wirklich war. Mitchell sah nur die Julia, die er sehen wollte, die perfekte Ergänzung zu seiner eigenen Perfektion, ein Spiegel, der sein Selbstbildnis auf positive Weise reflektierte.
Sie stieg in den Wagen und ließ die Schachtel in ihre Handtasche gleiten, bevor Mitchell die Führerseite des Autos erreicht hatte. Sie warf einen letzten Blick auf die Scheune und zitterte beim Gedanken an ihre Panik. Sie schloss die Augen, als Mitchell rückwärts aus der Einfahrt fuhr. Sie sprachen kein Wort auf dem Rückweg. Als sie die Stadt erreichten, schaltete Mitchell das Radio ein und wählte einen traditionellen Pop- und Schlagersender. Die ernste, fade Ausdrucksweise des Sängers war beinahe so endlos wie Mitchells stoische Stille.
Als Carrie Underwood eine musikalische Liebesmahlzeit servierte, als ob es eine gefrorene Pizza wäre, sprach Julia endlich.
„Es tut mir Leid, dass ich mich komisch benommen habe. Du hättest mich jedoch nicht anschreien müssen, Mitchell. Ich brauchte dich.“
Es hatte starken Verkehr und Mitchell warf ihr nur einen kurzen, kalten Blick zu, bevor er sich erneut auf die Fahrzeuge vor ihm konzentrierte. „Brauchen? Und meine Bedürfnisse?“
„Was ist damit?“
„Du rufst mich an und sagst mir, dass du nach Memphis kommst. Und das erste, woran ich denke, ist, dass wir uns eine schöne Zeit machen, dass wir uns wieder näher kommen, uns auf all die Dinge besinnen, die wir miteinander teilen. Und Gott bewahre, vielleicht sogar die Nacht miteinander verbringen. Und dann kommst du und beachtest mich kaum. Es dreht sich alles immer nur um dich, nicht wahr?“
Julia wusste keine Antwort. Obwohl sie innerlich brannte, musste sie zugeben, dass er Recht hatte. Wenn Mitchell nur verstehen könnte, dass sie nun einen Verbündeten brauchte und keinen Liebhaber. Sie hasste sich dafür, dass sie ihn nicht erreichen konnte, dass sie ihm so wenig zu bieten hatte. Selbst Gott hatte keinen Gebrauch für sie.
„Glaubst du denn, dass es einfach ist, sechs Monate lang ohne Sex zu leben?“ fuhr Mitchell fort. Seine Hände umklammerten das Steuerrad. „Wenn du dich aus religiösen Gründen zurückhalten würdest, könnte ich das respektieren. Langsam glaube ich jedoch, dass du mich absichtlich anmachst und dann abblitzen lässt. Du bist so wechselhaft, dass ich mich manchmal frage, ob du mich auch verrückt machen willst.“
„Ich bin nicht verrückt.“ Sie starrte gerade aus auf die Spitzen der hohen Häuser im Gewühl der Stadt. „Es heißt panische Störung oder PDNOS oder schizotypische Persönlichkeitsstörung, je nachdem, wen du fragst.“
„Das sagt Lanze. Aber
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