Der Schädelring: Thriller (German Edition)
Notfallwagen gefesselt, mit Thorazine vollgepumpt und müsste den Rest seiner Wiederkunft in einer Gummizelle abwarten.
Der Ring war nicht böse. Er war nur ein Klumpen aus Mineralien, der von Menschenhand erhitzt und gegossen und poliert worden war. Dieser Ring hatte jedoch ihrem Vater gehört, wenn sie den eingravierten Wörtern glauben sollte.
Der Ring war das einzige Relikt, das ihr von dem Mann übrig geblieben war, der ihr ins Leben verholfen hatte, dessen Gesicht wie eine alte Fotografie verblasst wäre, wenn er ihr nicht durch die neu erweckten Erinnerungen immer wieder gegenwärtig würde. Und obschon die Erinnerungen nicht immer beruhigend waren, war sie Dr. Forrest und auch Dr. Lanze dankbar. Sie hatten sie mit ihrer eigenen Vergangenheit in Verbindung gebracht, hatten ihr gezeigt, dass ihre gegenwärtigen Symptome aus der verwirrenden Zeit in ihrer Kindheit herrührten. Und nun half Dr. Forrest ihr dabei, vollständig geheilt zu werden.
Jetzt ging es nicht länger um Theorie. Vielleicht konnte Julia nun mithilfe dieses letzten Beweisstücks anfangen, ihre Vergangenheit zu begraben.
Als Julia den Ring gegen das Licht hielt, kitzelten und juckten sie die beiden Narben am Bauch. Sie wünschte sich beinahe, dass der Ring etwas gesagt hätte, denn es gab noch immer zu viele unbeantwortete Fragen.
War ihr Vater einer der schlechten Menschen gewesen?
War er einer der Männer gewesen, die sie auf den Stein gefesselt hatten und in ihren Mänteln um sie herum tanzten, die sie berührt hatten und aus dem eigenartigen Silbergefäß getrunken hatten?
War ihr Vater wirklich einer der Unholde gewesen?
Sie wusste, dass wiederhergestellte Erinnerungen manipuliert und als Tatsache akzeptiert werden konnten. Der Ring jedoch war solide, materiell und echt. Der Ring trug den Namen „Stone“. Der Ring verknüpfte das aus Träumen, Vorstellungen und Ängsten einer imaginären Vergangenheit bestehende Gewebe mit der Realität.
Julia musste es tun. Es war beinahe, als ob der Schädel sich von selbst bewegte und das silberne grinsende Gesicht zu ihrer linken Hand führte, dann zur Spitze des Ringfingers, der den Verlobungsdiamanten von Mitchell hätte tragen sollen. Das Metallband schlüpfte leicht über den Nagel, am Knöchel vorbei und schmiegte sich am Finger an.
Ein warmes Glühen breitete sich vom Ring aus und strahlte in Wellen dem Arm entlang durch den ganzen Körper. Es wurde ihr schwindlig. Die Hitze verwandelte sich in Elektrizität und Julia fühlte sich nicht länger schwach. Sie starrte den Schädel an und er lächelte zurück, als ob er ihr Bedürfnis zu kapitulieren verstanden hätte.
„Es hat lange gedauert“, schien das Lächeln zu sagen. „Aber nun bist du endlich bereit, Judas Stone zu werden.“
Nein, nein. NEIN.
Sie riss den Ring los und schleuderte ihn weg. Sie rannte durch das Zimmer, als ob sie von einem wilden Tier verfolgt würde. Sie schmiegte sich gegen den Schrank, presste die Fäuste an die Ohren und wehrte sich gegen den auf sie niedersinkenden Mantel der Panik. Sie zwang sich, tief zu atmen.
Nur ein Ring, nur ein Ring, nur ein Ring, EINATMEN . . .
Die Luft roch nach Gruft und Weihrauch.
Nur ein Ring, nur ein Ring, nur ein Ring. AUSATMEN . . .
Ihr Herz wand sich in der Brust, die Panik überschwemmte sie, ihre Gedanken überschlugen sich, lösten sich auf und stürzten in die Tiefe wie Steine einer Lawine. Der Ring an der Hand, die das Messer gehalten hatte, das Messer, das die Einschnitte gemacht hatte, diese glatten, heißen Spuren auf ihrem Unterleib. Warum tat ihr der böse Mann weh? Warum?
Und das Messer erhob sich erneut und Blut tropfte von der hellen Klinge; das Kerzenlicht glitzerte rot und die bösen Menschen neigten sich über sie; die Klinge senkte sich wieder und glitt gewandt über die andere Seite des Bauchs. Sie war sich der Verletzung bewusst, spürte jedoch keinen Schmerz.
Der aus den Schmelztiegeln aufsteigende Rauch hing in der Luft, als der böse Mann mit dem blutigen Messer gegen den Himmel zeigte. Dann hob er die andere Faust und der Schädelring glänzte fahl in der Nacht. Er berührte mit dem Messer den Ring, als ob er dem Schädel zu trinken geben wollte. Die roten Rubinaugen glühten und pulsierten im Rhythmus des wilden Herzschlags der kleinen Julia.
Und unter der Kapuze glühten die roten Augen des Mannes mit der gleichen Intensität.
Er griff in den Mantel und neigte sich über sie. Sein Atem roch nach altem Ziegenkäse. Er flüsterte,
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