Der Schädelring: Thriller (German Edition)

zerknitterten rotbraun gefärbten Stoffes.
    Sie hob das Stoffbündel sorgfältig hoch und legte es auf das Pult. Sie saß vor einem Bild aus Dreck und schmutzigen Papiertüchern und altem Holz, das auf der hellen, lackierten Oberfläche des Pultes lag. Sie musste einen Moment wegschauen, um sich zu überzeugen, dass das sterile Hotelzimmer noch immer existierte, dass Ordnung und nicht Chaos regierte. Das Telefon, der Fernseher und das frisch bezogene Bett lieferten einen kalten Trost.
    Das Tuch zerriss, als sie es öffnete; kleine Stücke der verfaulten, trockenen Fäden fielen nieder. Schließlich faltete sie den letzten Rest Stoff auseinander und starrte verständnislos auf das vom Sonnenlicht beleuchtete Objekt.
    Ein Schädelring.  
    Genau wie er ihr im Traum erschienen war und wie ihn Whitmore beschrieben hatte, mit einem Unterschied. Die Augenhöhlen waren leer; es befanden sich keine Rubine darin. Julia betrachtete die silberne Verlängerung der Stirne, das grausame, höhnische Grinsen. Im Innern des Rings waren die gleichen zwei entsetzlichen Wörter in einer eleganten Schriftart eingraviert: Judas Stone .
    Sie wusste, dass sie ihn nicht berühren sollte, dass die Polizei ihn womöglich auf Fingerabdrücke überprüfen wollte. Die Polizei hätte jedoch die losen Bretter im Schrank ihres Vaters bemerken sollen. Sie hatte sie zwar zufällig entdeckt aber Leute, die mit den Ermittlungsmethoden vertraut waren, hätten die Schachtel in fünfzehn Minuten gefunden.
    Es sei denn, sie hätten gewusst, dass die Schachtel dort war und hätten sie absichtlich übersehen. Vielleicht hatte Satan auch die Polizei infiltriert . . . .
    Nein, Julia, das sind die Gedanken einer Verrückten und Dr. Forrest sagte, dass du nicht verrückt bist. Du entwickelst jetzt KEINE Verschwörungstheorien. Wen kümmert es, ob die Familie Bush den 9/11-Vorfall geplant hatte oder ob Rick O’Dell sagte, dass der Satanismus bis in alle Regierungszweige, in die Gesetzesvollzugsbehörden, in das Militär und in die Gesellschaft schlechthin reichte. Sollte er wirklich so weit verbreitet sein, würde man ihn nicht gerade als „Untergrund“ bezeichnen oder nicht?
    Satanisten hatten kapituliert und sich anderen, populäreren und lukrativeren Bewegungen angeschlossen. Als Gegenkultur hatte der Satanismus seinen Anreiz verloren und war kaum provokativer als der Islamismus. Soweit sie wusste hatte noch kein politischer Kandidat erfolgreich als Vertreter des Satanismus kandidiert. Auch war dies nicht die Art Information, die man bei einer Stellenbewerbung preisgab. Nur die Orthodoxen interessierten sich dafür, dass die Satanisten unorthodoxe Praktiken hatten. Und Satan hatte womöglich mehr Bibeln verkauft als es Jesus je gelungen war, da Angst die weltweit erfolgreichste Werbung war. Julia wusste sehr wohl, wie Angst motivieren konnte. Schließlich hatte die Angst jahrzehntelang an ihren Marionettenfäden gezogen.
    Obwohl sich ihr Magen zusammenzog und Schweiß aus ihren Poren drang und sie so fest zitterte, dass der Stuhl quietschte, streckte sie ihre Hand aus und berührte den Ring.
    Es geschah nichts.
    Was hatte sie erwartet? Dass schwarze Wolken den Himmel überzogen, dass Donner die Häuser erschütterte, dass sich die Erde öffnete und Memphis verschlang oder auch nur einen Hauch schwefelartigen Rauchs, aus dem eine rotgesichtige, ziegenartige Kreatur mit einer zackigen Mistgabel trat?
    Genau wie Gott, der nicht erschienen war, als sie ihn gerufen hatte, so verpasste auch Satan seine Chance, sie zu erschrecken.
    Eitelkeit scheint wichtiger zu sein als der Wert meiner Seele.
    Julia kicherte beinahe vor Erleichterung. Sie hob den Ring hoch und hielt ihn nahe ans Gesicht.
    „Hallo, du hässliches Ding“, sagte sie zum eingravierten Schädel.
    War Sprechen mit einem Klumpen Silber ein Zeichen dafür, dass man reif für die Klapsmühle war? Viele Menschen verschiedener Religionen sprachen mit Göttern, die sie nicht sehen konnten, und es schien ihnen zu helfen. Gemäß Julia war eine gute Faustregel die Folgende: „Du bist nur wahnsinnig, wenn der leblose Gegenstand etwas erwidert.“
    Oder vielleicht bist du nicht verrückt, sondern nur einer dieser privilegierten Menschen, denen die Götter Weisheiten austeilten. Moderne Propheten wurden leicht fälschlicherweise als schizophren diagnostiziert und wenn Jesus wirklich auf die Erde zurückkäme und anfinge, über die Belohnungen in der Ewigkeit und über Wunder zu sprechen, würde er auf einen