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Der Schädelring: Thriller (German Edition)

Der Schädelring: Thriller (German Edition)

Titel: Der Schädelring: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Nicholson
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wütend vor sich hin?
    Julia hoffte, dass er weg war. Sie wollte nicht, dass er sie so schmutzig und zerzaust und aufgewühlt sah. Eine erstrebenswerte Trophäe musste beinahe immer perfekt sein, so kühl wie ein Drink und so glatt wie ein Tischtuch aus Damast.
    Noch schlimmer als sein Entsetzen über ihr Aussehen wäre jedoch sein unbeholfener Versuch, Mitleid zu zeigen. Er würde ihr zwar das Haar aus dem Gesicht streichen, sie sogar umarmen und wahrscheinlich die Stirn küssen, aber er würde nicht versuchen, ihr Inneres zu berühren. Er würde sie nicht dort streicheln, wo sie es am Nötigsten hätte, in ihrer Seele oder ihrem Geist oder ihrem Herzen.
    Es war jedoch nicht Mitchells Schuld. Sie gewährte niemandem Zutritt zu diesem geheimen Ort, wo eine Berührung sie heilen könnte. Dr. Lanze und Dr. Forrest war es beinahe gelungen. Sie hatten sie erweicht. Doch Hartnäckigkeit oder Stolz oder auch nur die durch ihre Krankheit verursachten Täuschungen verurteilten sie zum Alleinsein. Sie hielt immer einen Teil ihrer selbst von der Welt verborgen. Auch wenn sie sich dieser nackten Wahrheit bewusst war, vermochte sie sie nicht zu ändern.
    Sie stolperte zur Tür, kniff die Augen zusammen und blinzelte in das grelle Licht des Nachmittags. Die Wiese war gelb und glühte wie Feuer vor dem Hintergrund der leuchtenden roten Bäume und der Reihe von Häusern entlang des Gartenzauns. Eine Zugpfeife ertönte und ein Riese aus Eisen polterte über die Schienen in der entfernten Industriezone von Frayser. Die leichte Windböe drehte und brachte den Geruch des Flussschlammes vom Mississippi her.
    Julia watete durch das hohe Gras bis zum Zaun. Durch die Bäume im hinteren Teil des Gartens hindurch sah sie, dass der Lexus noch immer in der Einfahrt stand. Die Rücklehne des Führersitzes war nach hinten geneigt. Mitchell war entweder eingenickt oder zutiefst beleidigt.
    Sie schaute zum Himmel hoch und suchte nach Stärke bei den Energiereserven hinter den Wolken.
    Gott. Ich nehme an, dass es egoistisch ist, um Hilfe zu bitten, wenn ich eigentlich gar nicht an dich glaube. Aber vielleicht gibst du mir einen kleinen Stoß in die richtige Richtung. Lass mich wenigstens den Weg beschreiten.
    Die Wolken schienen unverändert und keine goldenen Lichtstrahlen durchfluteten sie mit gütiger Wärme. Keine ruhige Stimme flüsterte ihr tröstende Worte ins Ohr und keine Truppen von Engeln kamen heruntergeflogen, um sie zu retten. Sie fühlte sich jedoch etwas besser. Die einfache Geste, nach Hilfe zu bitten, hatte ihr gut getan und ihr das Gefühl der Isolation genommen.
    Okay, wenn du mir nicht helfen willst, dann gehe mir wenigstens aus dem Weg.
    Julia wischte das Stroh und den Staub von den Kleidern und das Haar aus dem Gesicht und kletterte über den Zaun. Sie ging hinter das Haus und öffnete die Tür mit dem losen Fliegengitter. Sie drehte den Türknopf, aber die Tür war abgeschlossen, was zu erwarten war.
    Sie ging zu einem der hinteren Fenster und schaute durch die verschmierte Scheibe. Es war ihr altes Kinderzimmer. Erinnerungen durchfluteten sie und sie spürte ein Sirren im Hinterkopf wie von einer elektrischen Ladung. Nicht die schlechten Erinnerungen der Menschen in schwarzen Mänteln, sondern Erinnerungen an Kinderspiele, an ein Kind, das auf dem Holzboden kroch, das in der Sonne saß und mit Puppen, dem Teddybär und mit Alphabetklötzen und Büchern spielte, die sie noch nicht lesen konnte.
    Das Zimmer war leer und die Schranktüre fehlte. Die Wände waren in einem schmutzigen weißgelben Ton gestrichen anstelle des Himmelblaus ihrer Kindheit. Ein Sprung in der Fensterscheibe war mit Klebeband überdeckt. Die obere Hälfte des Fensterriegels lag verbogen auf dem Sims.
    Julia nahm eine Haarspange aus der Tasche, band ihr Haar zurück und klopfte an die Scheibe, um die abbröckelnde Farbe zu lösen. Sie griff mit den Fingern unter das Fenster und schob die Scheibe nach oben. Eine Staubwolke senkte sich herab. Sie warf einen Blick auf die leeren Häuser auf beiden Seiten, bevor sie sich kopfvoran durch die Öffnung drängte. Sie schlug mit den Füßen einen Moment wild um sich. Dann ließ sie sich auf den Boden sinken, den sie über zwanzig Jahre lang nicht mehr berührt hatte. Sie ließ das Fenster hinter sich zugleiten.
    Sie stand in dem Zimmer, aus dem man sie vor dreiundzwanzig Jahren gestohlen hatte.

 
     
    14
     
    Trotz des unsicheren Gefühls und der lähmenden Wirkung der Panikattacke war Julia beinahe außer sich

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