Der Schädelring: Thriller (German Edition)
ich bin überzeugt, der hatte andere Motive, dich an der kurzen Leine zu halten.“ Der Verkehr war fast zum Stillstand gekommen. Mitchell wandte sich ihr zu. „Es ist mir egal, wenn diese Spinner ihren Spaß dran haben, dich an einem Spieß über dem Feuer zu rösten, aber ich wünsche mir nur, dass sie auch mir ein kleines Stück Fleisch übrig ließen.“
„Lass mich an der nächsten Ecke aussteigen.“ Das Hotel war drei Straßen weit entfernt. Obschon Unholde den Gehsteig füllten oder in den Seitengassen lauerten, waren sie ein weniger gefährliches Risiko als Mitchell.
„Sei nicht albern, Julia.“ Mitchells Stimme nahm einen bevormundenden Ton an. „Lass uns essen gehen.“
Der Verkehr kam zum Stillstand und Julia öffnete die Tür.
„Was soll denn das?“ schrie Mitchell. Aber Julia war bereits aufgestanden. Sie klemmte ihre Tasche unter den Arm, sprang zwischen zwei geparkten Wagen durch und eilte den Gehsteig entlang. Mitchell rief ihren Namen erneut, doch zwang ihn das Hupen der Autos, die Tür zu schließen und weiterzufahren.
Julia versuchte, nicht auf die fremden Leute zu achten, die an ihr vorbeigingen, die in den Türöffnungen lauerten, die sich hinter Zeitungen versteckten oder durch die Fenster glotzten. Eine Polizeisirene durchdrang sie wie ein Laserstrahl und widerhallte von den Betonfassaden. Die Abgase hingen ihr in Hals und Nase. Der feuchte Gestank der Stadt drückte gegen sie wie eine zweite Haut und sie sehnte sich plötzlich nach dem sauberen, frischen Geruch des Waldes in den Blue Ridge Bergen.
Sie hielt den Blick auf den Gehsteig gerichtet und konzentrierte sich darauf, bis zur nächsten Spalte im Asphalt vorzudringen und dann abermals bis zur nächsten. Sie versuchte, die Unmenge der sich bewegenden Schuhe zu ignorieren. Sie drückte ihre Tasche an die Brust. Würde sie ihr jetzt entrissen, nun da sie endlich einen Hinweis auf ihre Vergangenheit besaß, dann wäre dies der letzte Scherz, die diese grausame Stadt mit ihr trieb.
Jemand stieß sie an. Sie rang nach Luft und schaute unwillkürlich nach oben –
Ein böser Mann, das Gesicht von der Kapuze verdeckt –
Sie schrie auf und der Mann trat zurück und hob die Hände in einer Geste der Unschuld.
„Entschuldigung“, sagte er. Auf seiner beginnenden Glatze glänzten Schweißperlen. Er war keiner der schlechten Menschen, nur ein gestresster, übergewichtiger Jogger auf dem Weg zu einer Verabredung mit einem Herzanfall. Er zupfte seinen Kapuzenpullover mit dem Tennessee Titans-Logo zurecht und rannte weiter. Julia stolperte am wogenden Körpermeer vorbei.
Die Hotelhalle war kühl und es befanden sich nur wenige Gäste dort. Julia versuchte, tief durchzuatmen, als sie im Lift alleine nach oben fuhr. Schließlich befand sie sich hinter verschlossener Tür in ihrem Zimmer. Sie legte sich aufs Bett und schloss die Augen. Hinter den Augenliedern sah sie das Bild einer Million böser Menschen, einer Stadt voller fieser Typen mit Kapuzen. Sie lag auf dem Bett, bis sie sich wieder so normal fühlte, wie es Julia Stone möglich war.
Dann erhob sie sich, legte ihre Tasche auf das Pult, zog die Vorhänge zu und nahm die Schachtel heraus.
15
Es war das erste Mal, dass Julia die Nagelfeile verwendete, die sie in der Tasche trug. Sie kratzte mit der stumpfen Kante den sich angesammelten Dreck weg und wischte den Deckel mit einem mit Spucke befeuchteten Papiertaschentuch ab. Sie drehte die Schachtel um und sah, dass der Stern in Wirklichkeit ein Pentagramm war. Die Züge eines Ziegenkopfes waren sorgfältig in die Spitzen des Sterns eingeschnitzt. Er hatte gekrümmte Hörner, eine breite Nase und teuflisch aussehende Schlitzaugen.
Zwei Worte waren unterhalb des Symbols eingeritzt: Judas Stone .
Sie hatte gehofft, dass ihre Erinnerungen falsch waren, dass ihr Vater keine Beziehung zu den bösen Menschen hatte, ungeachtet der Hinweise von Dr. Forrest. Hier gab es jedoch vernichtende Beweise, die den Erinnerungsfunken in eine Feuersbrunst der Wahrheit auflodern ließen. Hier war ein solides Stück der Vergangenheit, so höllisch und eigenartig und beunruhigend wie ein Dutzend Unholde. Sie erkannte, dass sie sich nicht länger anlügen konnte.
Vati war einer von ihnen gewesen.
Ihre Hände zitterten so stark, dass sie die Feile kaum halten konnte. Sie steckte die Klinge in den Spalt und brach den Deckel auf. Der Geruch alten Schimmels stieg aus der Schachtel empor. Im Innern befand sich ein kleines Stück
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