Der Schädelring: Thriller (German Edition)
unmöglich. Sie wollte nicht, dass Walter sie für übergeschnappt hielt.
Auch Walter hatte jedoch Narben. Er hatte seinen eigenen Verlust erlitten und musste mit seiner eigenen Trauer fertig werden. Er hielt jedoch noch immer etwas zurück und es wurde ihr klar, dass der Glaube nichts mit Logik zu tun hatte. Sie musste ihm entweder vertrauen oder aus dem Jeep springen und das Risiko auf sich nehmen. Und zweite Chancen gab es für sie keine mehr.
„Was ist geschehen, als du vier Jahre alt warst?“ fragte Walter.
Sie betrachtete sein Gesicht. Er schob entschlossen das Kinn vor, als ob er ein Mann mit einer Mission wäre. Er hatte schon Opfer für sie gebracht. Wenn sie nur einmal im Leben den Mut hätte, jemanden an sich heran zu lassen. Und ihm als Gegenleistung vielleicht helfen könnte.
Walter trat auf die Bremse und der Jeep kam zu einem abrupten Halt. „Was ist los?“
Julia hielt die Hände vors Gesicht. „Du würdest es doch nicht verstehen.“
Walter ergriff ihr Handgelenk und zog die eine Hand von ihrem Gesicht weg. „Hör zu, verdammt noch mal. Ich weiß nicht, in was ich mich hier eingelassen habe. Womöglich ende ich mit einer Kugel im Kopf. Ich bin durch die Hölle gegangen, um dich dem Teufel zu entreißen und nun fahren wir weiß Gott wohin. Sag mir bitte nicht, dass ich es nicht verstehe.“
Julia versuchte, seinem Blick auszuweichen und die wellförmigen Hügel zu betrachten, die mit Scheunen bespickten Weiden und den Wald, der sie umgab. Sie konnte sich jedoch der magnetischen Kraft seiner Wut nicht entziehen. Sie atmete tief ein.
„Sie nahmen den Ring“, gelang es ihr zu sagen.
„Ring? Das klingt ja nach Fantasieliteratur oder was Ähnlichem.“
„Sie haben mich Satan gegeben“, sagte Julia schließlich. Sie brach zusammen und Tränen kamen ihr hoch. Aber die Panik verflüchtigte sich bald und wandelte sich in etwas Neues um, in eine reinigende Wut. „Mein Vater übergab mich den Unholden, damit sie mich als Blutopfer aufschneiden und mit meinem Körper ein Fest veranstalten konnten. Jedenfalls glaube ich das wenigstens.“
Nun war Walter an der Reihe, den Blick abzuwenden.
„Mein Vater verschwand in derselben Nacht“, fuhr Julia fort, bevor Walter sie wie alle anderen für hoffnungslos wahnsinnig halten konnte. „Die Polizei hat den Fall nie gelöst. Meine Verletzungen wurden als Ergebnis des Traumas bezeichnet. Man sagte, ich hätte versucht, durch das zerbrochene Schlafzimmerfenster zu steigen. Ich verbrachte die folgenden zehn Jahre bei verschiedenen Pflegefamilien und versuchte mir einzureden, dass nie etwas geschehen war. Dann hatte ich das Glück, als Teenager von einem liebevollen, ziemlich begüterten Ehepaar adoptiert zu werden. Sie starben bei einem Autounfall, als ich neunzehn Jahre alt war, hinterließen mir jedoch genug Geld, damit ich mein Studium am College beenden konnte und mir keine Sorgen um meine Existenz machen musste.“
Julia war überrascht, dass die Geschichte ihr so leicht von der Zunge ging. Es hatte zwei Jahre gedauert, bis sie Dr. Lanze so viel über ihre Vergangenheit erzählen konnte. Dr. Forrest hatte ihr solche Details in einigen Monaten entlockt. Walter hatte es innerhalb von zwei Minuten geschafft, obwohl sie es ihm nicht sagen wollte.
„Wir sollten wohl besser weiterfahren“, sagte Julia.
Walter nickte; er war anscheinend dankbar, dass er durch etwas abgelenkt wurde. Er legte den Gang ein und fuhr den Feldweg entlang. Der Wagen roch nach Schmierfett und Gummi. Aus den Schlitzen in den Vinylsitzen ragte Schaumstoff heraus und die Windschutzscheibe war voller zerquetschter Insekten.
„Ich lernte Mitchell Austin während des ersten Jahrs am College bei einer Sommerparty im Country Club meiner Adoptiveltern kennen“, sagte sie. Es wurde ihr bewusst, dass diese so genannt bessere Gesellschaft das pure Gegenteil von Walters Landleben war. „Ich weiß, langweilige alte Käuze, die Krocket spielen und trinken. Tönt eher nach einem Gefängnisaufenthalt als nach einem Urlaub. Aber Mitchell war –“
Sie suchte nach dem richtigen Wort, versuchte es mit „angenehm“, „vertrauenswert“ und fand dann den passendsten Begriff. „Zuverlässig. Er tröstete mich, als meine neuen Eltern umkamen. Er blieb in Verbindung, während ich mein Studium an der Memphis State Universität absolvierte und bat mich dann, ihn zu heiraten. Das war etwa zu der Zeit, als meine . . . kleinen Probleme begannen.“
„Probleme“, sagte Walter. Es war keine
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