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Der Schakal

Der Schakal

Titel: Der Schakal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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linken Ufer hinüber. Obschon durch die Breite des Seine-Arms von ihnen getrennt, konnte er die Leute, die auf dem anderen Ufer an den vor den Restaurants aufgestellten, weißgedeckten Tischen zu Abend aßen, nicht nur sehen, sondern auch ihre Stimmen und ihr Lachen hören.
    Jedem anderen Mann wäre in seiner Lage vermutlich bewußt geworden, daß ihn die Vollmachten, die man ihm vor einer Stunde übertragen hatte, zum mächtigsten Polizeibeamten Europas hatten werden lassen; daß mit Ausnahme des Präsidenten und seines Innenministers niemand sein Recht auf unbeschränkte Inanspruchnahme aller technischen Hilfsmittel und jeglicher Unterstützung von seiten staatlicher Institutionen anfechten konnte ; daß er praktisch autorisiert war, die Armee zu mobilisieren, vorausgesetzt, daß dies unter absoluter Geheimhaltung geschah. Vermutlich hätte er sich ebenfalls klargemacht, daß seine Machtfülle, so groß sie auch sein mochte, vom Erfolg abhing; daß der Erfolg ihm die Krönung seiner Karriere bescheren konnte, sein Ausbleiben, wie Saint Clair de Villauban dunkel angedeutet hatte, ihm jedoch mit Gewißheit das Genick brechen würde.
    Weil er aber der Mann war, der er war, verschwendete er an Überlegungen dieser Art keinen einzigen Gedanken. Er zerbrach sich lediglich den Kopf darüber, wie er Amélie am Telephon klarmachen konnte, daß er bis auf weiteres nicht nach Hause kommen würde.
    Ein Pochen an der Tür schreckte ihn auf.
    Die Inspektoren Malcoste und Favier kamen, um die Dossiers über die vier Fälle abzuholen, an denen Lebel gearbeitet hatte, als man ihn am frühen Abend in das Innenministerium rief. Er verbrachte eine halbe Stunde damit, Malcoste in die beiden Fälle einzuweisen, die er ihm übertrug, und Favier in die anderen beiden. Als sie gegangen waren, klopfte es neuerlich an der Tür. Es war Lucien Caron.
    »Ich bin gerade von Kommissar Bouvier angerufen worden«, erklärte er. »Man sagte mir, ich solle mich bei Ihnen melden.«
    »Stimmt. Bis auf weiteres hat man mich aller Routinepflichten entbunden und mir eine Sonderaufgabe zugewiesen. Sie sind mir als Assistent zugeteilt worden.«
    Er vermied es, Caron dadurch zu schmeicheln, daß er ihn wissen ließ, niemand anderer als er selbst habe ihn als seine rechte Hand angefordert. Das Telephon klingelte. Lebel hob den Hörer ab, lauschte kurz, sagte: »Gut, in Ordnung«, und hängte ein.
    »Das war Bouvier«, erklärte er. »Er hat mir gesagt, daß Sie als Geheimnisträger für unbedenklich erklärt worden sind. Ich kann Ihnen also jetzt erzählen, worum es geht. Am besten lesen Sie sich erst einmal dies hier durch.«
    Während Caron auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch saß und den Rolland-Bericht las, räumte Lebel die restlichen Aktenordner und Notizen vom Tisch und legte sie auf die unordentlichen Regale, die hinter ihm an der Wand befestigt waren. Das Büro sah nicht so aus, wie man sich die Befehlszentrale der umfangreichsten geheimen Ermittlungsaktion Frankreichs vorstellen würde. Polizeibüros wirken nie sehr beeindruckend, und das von Lebel machte darin keine Ausnahme.
    Es maß nicht mehr als vier mal fünf Meter und hatte zwei nach Süden auf den Fluß und das jenseits davon gelegene Quartier Latin gehende Fenster. Neben Lebels quer vor das Fenster gestellten Schreibtisch, an dem er mit dem Rücken zur Aussicht Platz zu nehmen pflegte, enthielt es einen an die östliche Wand geschobenen Arbeitstisch für seine Sekretärin. Die Tür befand sich gegenüber den Fenstern an der Nordseite des Raums.
    Außer den beiden Tischen und den dazugehörigen Stühlen gab es noch einen dritten Stuhl sowie einen neben die Tür gestellten Sessel, ferner sechs halbhohe, graugestrichene Aktenschränke, die nahezu die ganze Westwand einnahmen. Diverse Nachschlagewerke und Gesetzesbücher, die auf den zwischen den beiden Fenstern angebrachten Bücherregalen keinen Platz mehr gefunden hatten, standen auf den Aktenschränken.
    Die einzige private Note des Zimmers stellte die auf Lebels Schreibtisch stehende gerahmte Photographie einer entschlossen dreinblickenden Frau mit ihren beiden Kindern dar. Es war Madame Amélie Lebel, flankiert von einem Mädchen mit Stahlbrille und Zöpfen und einem Jungen, dessen sanfter Gesichtsausdruck dem seines Vaters glich.
    Caron hatte den Bericht durchgelesen und blickte auf. »Merde«, sagte er.
    »Une énorme merde, kann man in diesem Fall wohl sagen«, erwiderte Lebel, der sich Kraftausdrücke nur selten gestattete. Die

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