Der Schatten des Horus
verachtete schwache Menschen. Auch die Ägypter hatten sich mehr als zweieinhalb Jahrtausende von Fremden unterjochen lassen. Auf die Ummayiden folgten die Abbasiden, auf die Abbasiden die Tuluniden, auf die Tuluniden noch einmal die Abbasiden, dann die Ichschididen, die Fatimiden, die Aijubiden, Mamluken, Osmanen und Franzosen, dann Mohammed Ali, der albanische Truppenführer, schließlich die Engländer. Erst 1952 hatten die Ägypter genug. General Nasser gründete nach einem Staatsstreich die unabhängige Republik Ägypten.
Birger Jacobsen leerte sein Glas. Er würde seinen Putsch nicht mit Pauken und Trompeten ankündigen. Hintenrum, leise, aus einem sicheren Versteck heraus würde er über Sajjid Tanaffus triumphieren und sich an die Spitze des Seth-Kults stellen. Sein Werkzeug war der sa , die Studie über das Zellgedächtnis seine Gebrauchsanweisung.
Er sah zum Turm hinüber und lachte. Starke Scheinwerfer strahlten die Fassade an. Die vertikalen Betonstreben gaben ihm das Aussehen einer langen, geflochtenen Kerze, der Aufbau sollte an eine Lotospflanze erinnern. So überlistete man die Großen! Niemand hatte der jungen Republik ein Riesenprojekt wie den Assuan-Staudamm zugetraut, der den Göttern ein für alle Mal ihre Grenzen aufzeigen sollte, der amerikanische Präsident Nixon verweigerte die Unterstützung. 1956 begann General Nasser unter den Augen der skeptischen Welt mit den Bauarbeiten am einhundertsiebenundachtzig Meter hohen Cairo Tower. Das Geld dazu gaben am Ende doch die Amerikaner. Unfreiwillig. Nasser sollte die Dollars eigentlich für den Kauf von US-Waffen ausgeben. Birger Jacobsen nickte unmerklich. So würde auch er Tanaffus besiegen, der irgendwo da draußen wie eine Spinne in seinem Unterschlupf lauerte, der Seth-Seher, sein oberster Herr und Gebieter. Er durfte ihn nicht verärgern, musste seine Befehle ausführen. Vorne ergeben nicken, hinterrücks an seinem Thron sägen, so würde er zum Erfolg kommen! Wie Nasser, der schlaue Ägypter.
Birger Jacobsen räusperte sich. Die Nebel verzogen sich aus seinem Gehirn, der Druck in seinem Bauch entwich und er verspürte Hunger. Mit ausgestrecktem Arm winkte er einen der befrackten Lackaffen herbei, sollten die anderen Gäste doch von ihm denken, was sie wollten.
»Ana ’aiz haman mashi! «, orderte er. Eine halbe Stunde ohne jeglichen nützlichen Gedanken verging. Dann brachte der Kellner die Bestellung: mit gestoßenen Weizenkörnern gefüllte, gedünstete Täubchen. Wie die Beduinen hielt Birger Jacobsen die unreine linke Hand unter den Tisch und benutzte nur die rechte zum Essen.
Schiffe zogen auf dem Nil vorbei. Lautstark prollten Touristen auf ihren Decks herum, traten alles mit Füßen, was diese einmalige Kultur ausmachte. Gestern hatten sie die Pyramiden gefilmt, heute den Kamelmarkt, morgen würden sie mit »Oh!« und »Ah!« durch die Tempel laufen und übermorgen immer noch nichts kapiert haben.
Mit verächtlicher Miene knabberte Birger Jacobsen einen Taubenschenkel bis auf den Knochen ab. Er genoss es, seine Zähne in das zarte Fleisch der Vögel zu schlagen, seine kleine Rache an den Biestern, diese Pest, die überall auf der Welt die Großstädte verdreckten.
Es galt nur noch ein Problem zu lösen. Seit ihrer Begegnung im Appartement des San Remo, Sids Zuhause in Manhattan, kannten die Kids sein Gesicht. Er konnte den sa also nicht weiter so gefahrlos beschatten wie noch in New York. Ein Verbündeter musste her, der die neuesten Informationen und Pläne des sa an ihn weiterleitete. Birger Jacobsen ließ das abgenagte kleine Gerippe auf den Teller sinken, wischte die fettige Hand an der Stoffserviette ab und griff in die Innentasche seines Versace-Anzugs. So ein Bündel Banknoten fühlte sich gut an, besonders wenn Geld für einen selbst völlig bedeutungslos war. Hastig warf er einen Fünfzig-Dollar-Schein auf den Tisch und stand auf. Verächtlich nahm er aus dem Augenwinkel wahr, wie die Kellner sich wie die Geier darauf stürzten.
Er musste sofort einen Helfer rekrutieren. In dem Teil der Stadt, den Touristen nur in ihren Albträumen bei Dunkelheit betraten.
7. Kapitel
Kairo, Sonntag, 14 . Oktober 2007
Kurz nach Mitternacht rollte das Taxi durch die Sharia Talaat Harb. Geschlafen wurde hier anscheinend nie. Die ahwas , die ägyptischen Cafés, waren voller rauchender Männer, an den Imbisswagen standen dichte Trauben von Menschen mit kleinen Schüsseln oder Fladenbrot in den Händen. Jeder schien zu lachen oder mit
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