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Der Schatten des Horus

Der Schatten des Horus

Titel: Der Schatten des Horus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo P. Lassak
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drehte sich zum Spiegel. Ihm wurde übel. Links und rechts, in Höhe des Schlüsselbeins, zogen sich tiefe Kratzer durch seine Haut, wie von scharfen Krallen.

8. Kapitel
    Kairo, Nördliche Totenstadt, Sonntag, 14 . Oktober 2007, 2 Uh r 30
    Birger Jacobsen hastete die Salah Salem hinunter und fluchte. In der Dunkelheit hatte er einen rostigen Begrenzungspfosten übersehen und sich den Metallstab gegen den Unterleib gerammt. Jetzt bog er Richtung Südosten in eine schmale Seitengasse ab und humpelte auf die lange Fassade des Mausoleums von Farag Ibn Barquq zu. Zwillingsminarette ragten in den schwarzen Nachthimmel.
    Hier irgendwo wollten sie sich treffen. Er verlangsamte seinen Schritt und blinzelte eine Träne weg. Der Schmerz des Zusammenstoßes biss wie eine Schlange in sein Fleisch. Wo war das verabredete Zeichen? Aufmerksam wie ein Wildhund auf der Jagd ging er weiter. Nördliche Totenstadt wurde der Bezirk genannt. Schon dieser gruselige Name deutete darauf hin, dass hier die Lebenden und die Toten einträchtig nebeneinander existierten. Geschätzte einhundertfünfzigtausend Menschen lebten hier und auf dem Friedhof inmitten der Gräber. Die Verstorbenen hatten ihren Wohnsitz von der Innenstadt hierherverlegt. Niemand wurde einfach nur verscharrt, wie in den westlichen Religionen üblich. Für jeden Verblichenen wurde ein Mausoleum errichtet, je nach Geldbeutel seiner Angehörigen groß wie eine Moschee oder schmal wie ein Schrank. Und da Wohnraum in Kairo schon immer knapp war, nutzte man die Familiengräber gleich doppelt. Die Lebenden zogen mit ein, häufig Verwandte, oft auch Wildfremde.
    Birger Jacobsen versuchte sich zu orientieren. Die elektrischen Leitungen, die die Stadtverwaltung schließlich resigniert verlegt hatte, speisten ein paar Glühbirnen. Motten und Moskitos schwirrten um die flackernden Lichter. Trotz der späten Stunde tollten überall zwischen den Gräbern verdreckte Kinder herum, federlose Hühner scharrten im Sand, magere Schafe blökten. Die Bronx war gegen dieses Elend eine Villengegend! Und er selber wäre hier auch mit einer rot blinkenden Krawatte um den Hals nicht mehr aufgefallen. Beinahe lautlos drückte er sich um eine Betonmauer herum in einen kleinen Weg. Sinnlos. Die Rotznasen hatten ihn bereits entdeckt. Brüllend rannten sie in Scharen auf ihn zu.
    » One dollar, one dollar! «, bettelten sie und zerrten an seinem Anzug. Birger Jacobsen spürte, wie sein Augenlid zu zucken begann. Es juckte ihm in der Hand, diesen nervenden Zwergen einfach eine zu scheuern. Er holte tief Luft. Hier durfte er keine Gewalt anwenden, die herbeieilende Meute würde ihn in der Luft zerfetze n – doch er wusste, wie abergläubisch dieser Abschaum war.

»’ An-dee dschinn! «, zischte er den Kindern zu. In gewisser Weise stimmte das ja auc h – für seine Feinde war er ein Teufel. Das Licht über ihm erlosch sirrend. Als es wieder anging, schwiegen alle. Vierzig weit aufgerissene pechschwarze Augen starrten ihn an. Langsam, einen Fuß hinter den anderen setzend, entfernten sich die Bälger. Nicht mal zu schreien trauten sie sich mehr.
    » Iblis! «, flüsterten sie. » Iblis! «
    Grinsend bog Birger Jacobsen um die Ecke. Wer oder was ist Iblis?, fragte er sich. Mit fremden Religionen kannte er sich nicht besonders gut aus, sie interessierten ihn nicht. Aber die Aussicht, einem leibhaftigen Teufel zu begegnen, erschreckte selbst gebildete Kreaturen, dumme kleine Analphabeten erst recht.
    Endlich entdeckte er sein Ziel. Zwischen den beiden Pfeilern am Kopf- und Fußende eines schäbigen Grabes hingen fünf Wimpel. Beim Näherkommen stellte er zufrieden fest, dass der Stoff braunrot war, das verabredete Zeichen. Birger Jacobsen klopfte an die hölzerne Tür. Fünfmal. Sein Mann öffnete ihm und bat den Gast herein.
    Birger Jacobsen schüttelte den Kopf. »Ich bleibe lieber draußen, ich gebe dir nu r …«
    Der Mann legte seinen Zeigefinger an die Lippen. »Einen Moment noch!«, mahnte er in perfektem Englisch, genau so wie man ihn Birger Jacobsen beschrieben hatte. Ohne das leiseste Geräusch zu machen, schob er sich aus der Hütte und entfernte die Leine. Der Schein einer Ölfunzel meißelte tiefe Schatten in sein Gesicht. Die Fratze täuschte über sein wahres Alter hinweg. Er konnte kaum älter als dreißig sein. Birger Jacobsen beschloss, ihn Ali zu nennen. Ein typischer Name für einen typischen Vertreter seines Volkes. »Munkar und Nakir brauchen den Platz«, murmelte Ali. »Jede Nacht

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