Der Schatten erhebt sich
man dich eben nicht erkennen. Man fängt keinen Fisch, der das Netz sieht. Ich schlage vor, du vergißt deinen Mantel und die Hosen für eine Weile.« Die Amyrlin lächelte sie an wie eine Katze die Maus.
»Welchen Fisch wollt Ihr denn mit mir als Köder fangen?« fragte Min mit schwacher Stimme. Sie glaubte, es bereits zu wissen, und hoffte verzweifelt, unrecht zu haben.
Ihre Hoffnung hielt jedoch die Amyrlin nicht davon ab, zu sagen: »Die Schwarzen Ajah. Dreizehn von ihnen flohen, aber ich fürchte, es sind noch einige hier übrig. Ich kann nicht sicher sein, wem ich vertrauen kann. Eine Weile lang habe ich überhaupt niemandem mehr vertraut. Du bist kein Schattenfreund, das weiß ich, und dein ganz besonderes Talent mag vielleicht hilfreich sein. Zumindest aber habe ich mit dir ein weiteres Paar vertrauenswürdiger Augen.« »Das habt Ihr doch geplant, seit ich hier hereinspaziert bin, oder? Deshalb wollt Ihr, daß Gawyn und Sahra schweigen.« Der Zorn begann in Min zu kochen wie das Wasser im Kessel. Die Frau sagte: ›Frosch‹ und erwartete, daß die Leute hüpften. Daß sie das gewöhnlich auch taten, machte die Dinge nur noch schlimmer. Sie war kein Frosch und keine Marionette. »Habt Ihr das mit Egwene und Nynaeve und Elayne gemacht? Sie hinter den Schwarzen Ajah hergejagt? Das würde ich Euch zutrauen.« »Flick deine eigenen Netze, Kind, und laß diese Mädchen ihre Netze flicken. Soweit es dich betrifft, arbeiten sie zur Strafe auf einem Bauernhof. Drücke ich mich klar aus?« Dieser unbeirrbare Blick ließ Min nervös auf ihrem Stuhl umherrutschen. Es war leicht, der Amyrlin zu widersprechen, bis sie anfing, einen mit diesen scharfen, kalten, blauen Augen festzunageln. »Ja, Mutter.« Die Demut in ihrer Antwort stank zum Himmel, aber ein Blick in die Augen der Amyrlin überzeugte sie, daß es besser sei, es damit bewenden zu lassen. Sie zupfte an der feingesponnenen Wolle ihres Kleides. »Ich denke, es wird mich nicht umbringen, wenn ich das hier noch ein Weilchen länger trage.« Plötzlich blickte Siuan amüsiert drein. Min spürte, wie sich ihr die Nackenhaare aufstellten.
»Ich fürchte, das reicht nicht. Min in einem Kleid ist immer noch Min für jede, die einigermaßen genau hinschaut. Du kannst nicht immer einen Umhang mit ins Gesicht gezogener Kapuze tragen. Nein, du mußt alles ändern, was geändert werden kann. Zum einen wirst du weiterhin den Namen Elmindreda benützen. Es ist schließlich auch dein Name.« Min zuckte zusammen. »Dein Haar ist beinahe so lang wie das Leanes, lang genug, um Locken hineinzubrennen. Was den Rest betrifft... Ich habe niemals Rouge und Puder und Schminke benützt, aber Leane weiß noch, wie man damit umgeht.« Min hatte seit der Erwähnung der Locken immer größere Augen gemacht. »O nein«, brachte sie mühsam hervor.
»Keiner wird dich noch für die Min halten, die immer in Hosen herumlief, wenn Leane erst eine perfekte Elmindreda aus dir gemacht hat.« »O NEIN!« »Was den Grund deines Aufenthalts in der Burg betrifft - hmmm, ein Grund, der zu einer flatterhaften jungen Frau paßt, die in nichts wie Min wirkt - weder im Aussehen, noch im Benehmen.« Die Amyrlin runzelte nachdenklich die Stirn und ignorierte Mins Bemühungen, auch zu Wort zu kommen. »Ja. Ich werde verbreiten lassen, daß Frau Elmindreda gleich zwei Freier soweit ermutigte, daß sie sich jetzt in der Burg vor ihnen in Sicherheit bringen muß, bis sie sich zwischen ihnen entscheiden kann. Jedes Jahr bitten doch noch ein paar Frauen hier um Asyl, und die Gründe sind manchmal tatsächlich so idiotisch.« Ihr Gesicht verhärtete sich wieder, und ihr Blick wurde schärfer. »Wenn du immer noch an Tear denkst, überlege genau. Überlege, ob du hier oder dort für Rand von größerem Nutzen sein kannst. Wenn die Schwarzen Ajah die Burg stürzen oder, noch schlimmer, in ihre Hände bekommen, dann verliert Rand selbst die wenige Hilfe, die ich ihm zuteil werden lassen kann. Also. Bist du eine Frau oder ein liebeskrankes Mädchen?« In der Falle gefangen. Min sah das genauso deutlich, als habe sie einen Fallstrick am Bein. »Setzt Ihr euch immer so bei anderen Menschen durch, Mutter?« Das Lächeln der Amyrlin war diesmal sogar noch kälter.
»Für gewöhnlich, mein Kind. Für gewöhnlich.« Elaida rückte ihre Stola mit den roten Fransen zurecht und blickte nachdenklich die Tür zum Arbeitszimmer der Amyrlin an, durch die gerade eben zwei junge Frauen verschwunden waren. Die Novizin kam nur
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