Der Schatten erhebt sich
gab so viele, die wirklich ihre Hilfe benötigten. Ich möchte sie nicht belästigen. Ich bin ja auch in meiner Arbeit keineswegs behindert.« Loial blickte dabei kurz zum Tisch hinüber, wo ein großes, ledergebundenes Buch geöffnet neben einer ebenfalls offenen Tintenflasche lag. Das Buch war auch für Loial ziemlich groß, paßte aber dennoch in eine seiner Rocktaschen. »Ich hoffe, daß ich alles korrekt festgehalten habe. Ich habe gestern abend nicht viel gesehen, bis alles vorüber war.« »Loial«, sagte Faile, die mit einem Buch in der Hand hinter einer Blumenbank aufstand, »Loial ist ein Held.« Perrin zuckte sichtlich zusammen. Die Blumen hatten ihren Parfumduft völlig überlagert. Loial gab beruhigende Laute von sich, und seine Ohren zuckten verlegen. Er winkte ihr mit seinen großen Pratzen zu, um sie zum Schweigen zu bringen, aber sie fuhr fort. Ihre Stimme klang kühl, doch ihr Blick ruhte heiß auf Perrins Gesicht.
»Er hat so viele Kinder wie möglich um sich gesammelt und auch einige ihrer Mütter, ist mit ihnen in einen großen Raum gegangen und hat ganz allein während des gesamten Kampfes die Tür gegen die Trollocs und Myrddraal verteidigt. Diese Blumen stammen von den Frauen im Stein und sollen ihm Ehre erweisen und ihre Dankbarkeit zeigen für seinen Mut, seine Standhaftigkeit und Treue.« Die Worte ›Standhaftigkeit‹ und ›Treue‹ klangen für Perrin wie Peitschenhiebe.
Perrin bemühte sich, nicht wieder dabei zusammenzuzucken, aber es gelang ihm gerade so eben. Was er getan hatte, war richtig gewesen, doch er konnte natürlich nicht erwarten, daß sie das einsah. Selbst wenn sie wüßte, warum er das getan hatte, würde sie es wohl nicht einsehen. Es war richtig. Ganz und gar richtig. Er wünschte sich nur, er hätte ein besseres Gefühl dabei. Es war einfach nicht fair, zu wissen, daß er recht hatte, und sich trotzdem im Unrecht zu fühlen.
»Es war doch gar nichts«, sagte Loial mit wild zuckenden Ohren. »Es ist doch bloß so, daß sich die Kinder nicht selbst verteidigen konnten. Das ist alles. Keine Heldentat. Nein.« »Unsinn.« Faile steckte einen Finger in ihr Buch, um ihre Seite nicht zu verlieren, und trat näher an den Ogier heran. Sie reichte ihm nicht einmal bis zur Brust. »Es gibt keine Frau im Stein, die dich nicht heiraten würde, wenn du ein Mensch wärst, und manche würden es wohl auch so tun. Loial ist der richtige Name für dich, denn die Loyalität ist deine zweite Natur. Das muß eine Frau doch lieben.« Die Ohren des Ogiers wurden vor Schreck steif, und Perrin grinste. Sie hatte offensichtlich den ganzen Morgen Loial Honig um den Mund geschmiert, in der Hoffnung, der Ogier werde bereit sein, sie auf jeden Fall mitzunehmen, aber nun war sie, ohne es zu wissen, gewaltig über das Ziel hinausgeschossen. »Hast du etwas von deiner Mutter gehört, Loial?« fragte Perrin mit Unschuldsmiene.
»Nein.« Loial brachte es fertig, gleichzeitig erleichtert und besorgt zu klingen. »Aber gestern habe ich in der Stadt Laefar getroffen. Er war genauso überrascht, mich zu sehen, wie ich, ihn. Wir sind ja in Tear alles andere als ein alltäglicher Anblick. Er kam vom Stedding Schangtai her, um über Reparaturarbeiten an einigen von Ogier erbauten Teilen von Schlössern zu verhandeln. Ich bezweifle nicht, daß seine ersten Worte zu Hause im Stedding sein werden: ›Loial ist in Tear.‹« »Das klingt nach Schwierigkeiten«, sagte Perrin, und Loial nickte betrübt.
»Laefar hat gesagt, daß mich die Ältesten zum Ausreißer erklärt haben und meine Mutter habe ihnen versprochen, mich zu verheiraten und dazu zu bringen, daß ich mich niederlasse. Sie hat mir sogar schon jemand ausgesucht. Laefar wußte nicht, wen. Zumindest behauptete er das. Er hält so etwas für lustig. Sie könnte in etwa einem Monat hier ankommen.« Failes Gesicht war ein Abbild von Verwirrung, was Perrin beinahe wieder zum Grinsen gebracht hätte. Sie behauptete immer, sie wisse soviel mehr von der Welt als er, und eigentlich war das ja auch richtig, aber sie kannte Loial nicht. Das Stedding Schangtai war Loials Heimat oben am Rückgrat der Welt, und da er kaum die neunzig Jahre überschritten hatte, hielt man ihn für zu jung, um auf eigene Faust in die Welt der Menschen hinauszureisen. Ogier hatten eine sehr lange Lebensspanne. Nach ihren Maßstäben war Loial nicht älter als Perrin; vielleicht sogar jünger. Aber Loial war trotzdem losgezogen, um die Welt zu sehen, und seine schlimmste
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