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Der Schatten erhebt sich

Der Schatten erhebt sich

Titel: Der Schatten erhebt sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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und dann verließ er das Zimmer, als könne er auch die Erinnerung an seine Träume dort zurücklassen.
    Von dem nächtlichen Angriff waren nur noch wenige Spuren zu sehen. Vereinzelte Schlitze in den Tapeten, die eine oder andere Ecke einer Truhe, die von einer Axt abgesplittert worden war, oder ein heller Fleck am Boden, wo man einen blutgetränkten Läufer entfernt hatte, waren alles. Die Majhere hatte Scharen von Dienern ausgeschickt, und obwohl viele Bandagen trugen, fegten und putzten sie, trugen beschädigte Gegenstände fort und ersetzten sie. Sie humpelte auf einen Stock gestützt dazwischen herum: eine mollige Frau, deren graues Haar durch eine um die Stirn gewickelte Binde hochgeschoben wurde. Mit fester Stimme gab sie ihre Anordnungen in der eindeutigen Absicht, jede noch so kleine Spur des Angriffs auf den Stein zu beseitigen. Sie sah Perrin und knickste kaum sichtbar. Selbst die Hochlords sahen kaum einmal eine weitergehende Ehrenbezeugung von ihr, auch wenn sie gesund war. Trotz all der Putzerei und Schrubberei, trotz des Geruchs nach frischem Bohnerwachs und Seifenlaugen konnte Perrin immer noch einen schwachen Blutgeruch wahrnehmen, beißend metallisch, wo es sich um menschliches Blut gehandelt hatte, faulig stinkendes Trolloc-Blut und hier und da auch den ätzenden Gestank nach Myrddraal-Blut, der ihm in die Nase biß. Er war froh, wenn er von hier weg konnte.
    Die Tür zu Loials Zimmer maß eine Spanne in der Breite und war mehr als zwei Spannen hoch. Der Türgriff war übergroß und hatte die Form von ineinander verwundenen Ranken. Er saß etwa in der Höhe von Perrins Kopf. Der Stein verfügte über eine Reihe von selten benützten Ogier-Gästezimmern. Wohl ging der Bau des Steins von Tear auf eine Zeit noch vor der großen Zeit der Ogier-Bauten zurück, aber es war eine Prestigeangelegenheit, wenigstens von Zeit zu Zeit bei Reparaturarbeiten Ogier-Steinmetzen einzusetzen. Perrin klopfte und auf das ›Herein‹ einer Stimme, die wie eine langsame Lawine klang, hob er den Türgriff an und trat ein.
    Das Zimmer entsprach dem Größenmaßstab der Tür. Doch Loial, der hemdsärmelig und mit einer langen Pfeife zwischen den Zähnen auf dem mit Blättern verzierten Teppich stand, ließ die Einrichtung durch seine Größe schon wieder normal erscheinen. Der Ogier war größer als ein Trolloc, wenn auch etwas schlanker, und trug hüfthohe Stiefel mit breiten Sohlen. Sein dunkelgrüner Rock, der bis zur Hüfte zugeknöpft war und dann wie ein Kilt weit ausgestellt über die Pumphosen hinwegstand, wirkte mittlerweile nicht mehr belustigend auf Perrin, aber selbst für andere hätte ein Blick genügt, um zu zeigen, daß dies kein gewöhnlicher Mann in einem gewöhnlichen Zimmer sein konnte. Die Nase des Ogiers war so breit, daß sie schon wie ein kleiner Rüssel wirkte, und die Augenbrauen hingen so lang wie ein Schnurrbart neben teetassengroßen Augen herunter. Spitze Ohren mit Haarbüscheln obenauf schoben sich durch buschiges schwarzes Haar, das ihm beinahe bis auf die Schultern reichte. Als er Perrin um den Pfeifenstiel herum angrinste, war das Grinsen so breit, daß es fast sein Gesicht spaltete.
    »Guten Morgen, Perrin«, grollte er, und dann nahm er die Pfeife aus dem Mund. »Hast du gut geschlafen? Nicht leicht nach einem Abend wie dem letzten. Ich bin die halbe Nacht aufgeblieben und habe alles aufgeschrieben, was geschehen ist.« Er trug in der freien Hand eine Feder, und auf seinen wurstdicken Fingern waren Tintenflecke zu sehen.
    Überall lagen Bücher - auf den Stühlen im Ogierformat, dem riesigen Bett und dem Tisch, dessen Fläche sich auf der Höhe von Perrins Brust befand. Das mit den Büchern war nicht überraschend, aber die Blumen schon. Blumen jeder Art und jeder Farbe. Vasen und Körbe voller Blumen, manche mit einem schönen Band oder sogar auch einmal mit einem Faden zusammengebunden, standen aufgereiht, so daß es wie in einem Garten wirkte. Perrin hatte so etwas noch nie in einem Zimmer gesehen. Ihr Duft erfüllte die Luft. Aber was Perrin besonders auffiel, war die dicke Beule auf Loials Kopf, groß wie eine Männerfaust, und das schwerfällige Hinken des Ogiers. Falls Loial zu stark verletzt war, um die Reise mitzumachen... Er schämte sich, so egoistisch zu denken - der Ogier war schließlich sein Freund -, aber er konnte nicht anders.
    »Bist du verwundet, Loial? Moiraine kann dich doch heilen. Ich bin sicher, daß sie es tut.« »Ach, ich schaffe das schon ohne Hilfe. Und es

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