Der Schatten erhebt sich
Ich werde sie wünschen lassen, ich hätte ihr die Haut bei lebendigem Leib wie einen Handschuh abgezogen.« »Ein Buch hat es mir erzählt«, sagte Rand gelassen. Er setzte sich auf eine Kiste, die unter seinem Gewicht beängstigend knarrte. Dann verschränkte er die Arme vor der Brust. Alles äußerst gelassen. Mat wünschte, er könne es Rand gleichtun. »Einem Bücherpaar, um es genau zu sagen. Schätze des Steins und Die Politik Tears bezüglich des Territoriums von Mayene. Überraschend, was man so in Büchern ausgraben kann, wenn man lange genug liest, ja?« »Und Ihr?« Sie schwenkte ihren durchbohrenden Blick zu Mat herüber. »Habt Ihr es auch in einem Buch gelesen? Ausgerechnet Ihr?« »Ich lese auch manchmal«, antwortete er trocken. Er hätte wohl nichts dagegen gehabt, wenn sie Nynaeve und Egwene ein wenig die Haut abzog, nach dem, was sie mit ihm gemacht hatten, damit er ihnen gestand, wo er den Brief der Amyrlin versteckt hatte. Es war schon schlimm genug, ihn mit Hilfe der Macht zu fesseln, aber was sie danach noch angestellt hatten! Doch im Moment machte es mehr Spaß, Moiraine an der Nase herumzuführen. »Schätze. Politik. Es stehen so viele Dinge in solchen Büchern.« Glücklicherweise bestand sie nicht darauf, daß er die vollständigen Titel wiederholte. Er hatte nämlich nicht aufgepaßt, als Rand die Bücher erwähnte.
Statt dessen wandte sie sich wieder Rand zu. »Und Eure Antworten?« »Gehören mir«, antwortete Rand. Dann runzelte er die Stirn. »Aber es war nicht leicht. Sie brachten eine Frau herein, um zu... dolmetschen, aber sie sprach wie ein altes Buch. Ich konnte einige der Worte kaum verstehen. Ich habe nie daran gedacht, daß sie eine andere Sprache sprechen könnten.« »Die Alte Sprache«, sagte Moiraine. »Sie gebrauchen die Alte Sprache - einen ziemlich hart klingenden Dialekt, um präzise zu sein -, wenn sie mit Menschen sprechen. Und Ihr, Mat? Konntet Ihr euren Dolmetscher besser verstehen?« Er mußte erst wieder ein bißchen Speichel im Mund sammeln, um antworten zu können: »Die Alte Sprache? Das war es also? Sie haben mir keinen Dolmetscher gegeben. Ich kam auch nicht einmal dazu, Fragen zu stellen. Diese Glocke hat angefangen, die Wände fast zum Einstürzen zu bringen, und sie haben mich rausbefördert, als hätte ich ihnen den Teppich mit Kuhmist verschmutzt.« Sie starrte ihn immer noch an und wollte schier seinen Kopf durchbohren. Sie wußte, daß er manchmal unbewußt die Alte Sprache sprach. »Ich habe... hier und da mal ein Wort verstanden, aber den Zusammenhang nicht begriffen. Ihr und Rand habt Antworten erhalten. Was haben sie eigentlich davon? Diese Schlangen mit Beinen. Wir werden doch wohl nicht hinaufgehen und merken, daß zehn Jahre vergangen sind, so wie Bili im Märchen?« »Empfindungen«, sagte Moiraine und verzog das Gesicht. »Empfindungen, Gefühle, Erfahrungen. Sie kramen darin herum. Man kann es spüren und bekommt eine Gänsehaut. Vielleicht ernähren sie sich auf gewisse Weise von Gefühlen anderer. Die Aes Sedai, die diesen Ter'Angreal untersuchte, als er sich in Mayene befand, schrieb über den ausgeprägten Wunsch, hinterher ein Bad zu nehmen. Ich habe das jedenfalls auch vor.« »Aber ihre Antworten stimmen?« fragte Rand, als sie sich abwenden wollte. »Seid Ihr sicher? Das Buch hat diese Behauptung aufgestellt, aber können sie wirklich mit ihren Antworten die Zukunft vorhersagen?« »Die Antworten stimmen«, sagte Moiraine bedächtig, »soweit sie Eure eigene Zukunft betreffen. Soviel ist gewiß.« Sie beobachtete Rand und schätzte wohl die Wirkung ihrer Worte auf ihn ab. »Wie das möglich ist, darüber kann man nur spekulieren. Ihre Welt ist... auf gewisse Weise... gefaltet. Ich kann es nicht klarer ausdrücken. Es kann sein, daß diese Eigenschaft ihrer Welt ihnen gestattet, den Schicksalsfaden eines menschlichen Lebens zu deuten und die unterschiedlichen Arten zu erkennen, auf die er ins Muster verwoben werden kann. Vielleicht ist es auch ein besonderes Talent dieses Volkes. Jedoch sind die Antworten oft verschleiert. Falls Ihr Hilfe braucht, um herauszubekommen, was Eure Antworten bedeuten, dann stehe ich Euch zur Verfügung.« Ihr Blick huschte vom einen zum anderen und Mat hätte beinahe geflucht. Sie glaubte ihm nicht, daß er keine Antworten erhalten hatte. Oder war es nur das übliche Mißtrauen der Aes Sedai anderen gegenüber?
Rand lächelte sie bedächtig an. »Und werdet Ihr mir ebenfalls erzählen, was Ihr gefragt
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