Der Schatten erhebt sich
oder?« fragte er sie leise. Dann zitierte er: »›Sein Blut auf den Felshängen des Shayol Ghul wäscht den Schatten weg. Sein Opfer zur Rettung der Menschheit.‹« »Ihr lest zuviel«, sagte sie in scharfem Ton, »und versteht zu wenig.« »Versteht Ihr mehr? Falls ja, sagt es mir.« »Er versucht doch nur, den richtigen Weg zu finden«, sagte Lan plötzlich. »Kein Mann möchte blind einherrennen, wenn er weiß, daß irgendwo vor ihm eine Klippe ist.« Perrin zuckte fast vor Überraschung zusammen. Lan widersprach Moiraine sonst nie oder jedenfalls nicht in Hörweite anderer. Allerdings hatte er viel Zeit mit Rand verbracht, um ihn im Schwertkampf auszubilden.
Moiraines dunkle Augen blitzten, doch dann sagte sie nur: »Er muß jetzt ins Bett. Sorge bitte dafür, daß man ihm Wasser zum Waschen bringt und ein anderes Schlafzimmer vorbereitet. Das hier muß gründlich gereinigt werden, und das Bett braucht eine neue Matratze und ein neues Oberbett.« Lan nickte und steckte einen Augenblick lang den Kopf zur Tür hinaus in den Vorraum. Er sprach leise mit jemandem.
»Ich werde hier schlafen, Moiraine.« Rand ließ den Bettpfosten los und hielt sich aufrecht, wobei er die Spitze Callandors auf den Teppich aufstellte und sich mit beiden Händen auf das Schwert stützte. So konnte man kaum sehen, wie schwach er wirklich war. »Ich lasse mich nicht mehr hin und her jagen. Nicht einmal aus einem Bett.« »Tai'shar Manetheren«, murmelte Lan.
Diesmal blickte sogar Rhuarc überrascht drein, aber falls Moiraine gehört hatte, wie der Behüter Rand ehrte, zeigte sie keine Reaktion. Sie sah Rand an. Ihr Gesichtsausdruck war nichtssagend wie meistens, doch in ihren Augen glühte der Zorn. Rand lächelte leicht und irgendwie fragend, als überlege er, was sie sich wohl als nächstes einfallen lassen werde.
Perrin schob sich langsam auf die Tür zu. Falls Rand und die Aes Sedai streiten wollten, war es besser, den Rückzug anzutreten. Lan schien das nicht zu kümmern. Es war auch schwer zu sagen, was er dachte oder fühlte. Aus seiner Haltung, gerade aufgerichtet und doch vollständig entspannt, ließ sich nichts ablesen. Er konnte sowohl gelangweilt im Halbschlaf herumstehen, wie auch im nächsten Moment kampfbereit das Schwert ziehen - beides erschien gleich wahrscheinlich. Rhuarc stand ähnlich da, aber er beäugte wenigstens ebenfalls sehnsuchtsvoll die Tür.
»Bleibt, wo Ihr seid!« Moiraine wandte den Blick nicht von Rand, und ihr ausgestreckter Finger zeigte irgendwohin in die Mitte zwischen Perrin und Rhuarc, aber Perrin blieb trotzdem wie angewurzelt stehen. Rhuarc zuckte die Achseln und faltete die Arme vor der Brust.
»Stur«, knurrte Moiraine. Diesmal galt es Rand. »Also gut. Wenn Ihr so stehen bleiben wollt, bis Ihr umfallt, könnt Ihr wenigstens die Zeit bis dahin nützen und mir sagen, was hier vorgefallen ist. Ich kann Euch nichts beibringen, aber wenn ich Bescheid weiß, kann ich Euch vielleicht wenigstens sagen, was Ihr falsch gemacht habt. Es ist zwar nur eine geringe Möglichkeit, aber...« Ihr Tonfall wurde schärfer. »Ihr müßt lernen, es zu beherrschen, und das nicht nur dieser Sache wegen. Wenn Ihr nicht lernt, die Macht unter Kontrolle zu halten, wird sie Euch umbringen. Das wißt Ihr. Ich habe es Euch oft genug gesagt. Ihr müßt es aber von allein lernen. Die Kraft dazu findet Ihr in Euch selbst.« »Ich habe nichts angerichtet, außer eben zu überleben«, sagte er trocken. Sie öffnete den Mund, aber er fuhr fort: »Glaubt Ihr, ich würde die Macht anwenden, ohne daß ich selbst es merke? Ich habe das nicht im Schlaf angerichtet. Das ist geschehen, als ich wach war.« Er schwankte und fing sich gerade noch mit Hilfe des stützenden Schwerts.
»Selbst Ihr könntet im Schlaf nichts anderes lenken als bestenfalls das Element Geist«, sagte Moiraine kühl. »Und das hier wurde nicht mit Geist angestellt. Ich war dabei, Euch zu fragen, was wirklich geschah.« Perrin sträubten sich die Haare, als Rand seine Geschichte erzählte. Das mit der Axt war schon schlimm genug gewesen, aber wenigstens war die Axt etwas Solides, Wirkliches. Doch die eigenen Spiegelbilder herauskommen zu sehen und... Unbewußt trat er von einem Fuß auf den anderen, um nicht auf irgendwelchen Glassplittern zu stehen.
Kurz nachdem Rand zu erzählen begonnen hatte, warf er heimlich einen Blick über die Schulter auf die Truhe, so, als wolle er nicht, daß die anderen ihn bemerkten. Einen Moment später rührten sich die
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