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Der Schatten erhebt sich

Der Schatten erhebt sich

Titel: Der Schatten erhebt sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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lauschen. Es tut mir leid, Aes Sedai.« Mit schlechtem Gewissen streichelte Egwene den Ring mit der Großen Schlange, der goldenen Schlange, die den eigenen Schwanz verschlang, an ihrer rechten Hand. Als Aufgenommene sollte sie ihn eigentlich am Ringfinger ihrer linken Hand tragen, aber sie wollten ja die Hochlords in dem Glauben lassen, daß sich vier ausgebildete Aes Sedai im Stein aufhielten, damit sie nichts Dummes anstellten und auf das achteten, was bei den tairenischen Adligen als gute Manieren galt. Moiraine log natürlich nicht. Sie behauptete nie, daß die drei mehr als nur Aufgenommene seien. Aber sie sagte auch nicht, daß sie Aufgenommene seien, und ließ statt dessen jeden glauben, was er oder sie mochte. Und die hielten eben das für wahr, was sie zu sehen glaubten. Moiraine konnte überhaupt nicht lügen, aber sie strapazierte manchmal die Wahrheit bis zum letzten.
    Es war nicht das erste Mal, seit sie die Burg verlassen hatten, daß Egwene und die anderen vorgegeben hatten, bereits vollwertige Schwestern zu sein, aber es wurde ihr ständig unangenehmer, Aviendha so zu täuschen. Sie mochte die Aielfrau und glaubte, sie würden bestimmt Freundinnen werden, sobald sie sich einmal besser kannten, doch das war wohl kaum möglich, solange Aviendha Egwene für eine Aes Sedai hielt. Die Aielfrau befand sich im Moment auf Befehl Moiraines bei ihnen. Erklärt hatte Moiraine nichts. Egwene vermutete, sie wolle ihnen auf diese Art eine Leibwächterin unter den Aiel verschaffen, als hätten sie noch nicht gelernt, sich selbst zu schützen. Trotzdem: Obwohl Aviendha und sie dabei waren, Freundschaft zu schließen, konnte sie ihr nicht die Wahrheit sagen. Man bewahrte ein Geheimnis am besten, wenn man es niemanden wissen ließ, der es nicht unbedingt wissen mußte. Auch etwas, das ihnen Moiraine beigebracht hatte. Manchmal hatte Egwene den Wunsch, die Aes Sedai möge sich einmal vollkommen irren, ganz und gar danebenliegen - nur ein einziges Mal. Natürlich bei keiner lebenswichtigen Sache. Das war Vorbedingung.
    »Tanchico«, knurrte Nynaeve. Ihr dunkler, armdicker Zopf hing ihr bis zur Hüfte hinunter. Sie blickte aus einem der engen Fenster, dessen Flügel sie weit geöffnet hatte, in der Hoffnung, ein wenig kühlen Nachtwind einzufangen. Auf dem breiten Erinin tief unter ihnen hüpften die Laternen einiger Fischerboote auf und ab, die nicht wie die anderen flußabwärts gefahren waren, doch Egwene glaubte, daß Nynaeve sie gar nicht bemerkte. »Es bleibt nichts anderes übrig, als nach Tanchico zu reisen, wie es scheint.« Nynaeve zupfte unbewußt an ihrem grünen Kleid herum. Der weite Ausschnitt ließ ihre Schultern unbedeckt. Das gefiel ihr. Sie hätte sich geweigert, dieses Kleid speziell für Lan Moiraines Behüter anzuziehen, hätte Egwene ihr das vorgeschlagen, aber Grün, Blau und Weiß schienen Lans Lieblingsfarben in bezug auf Frauenkleider zu sein, und so war plötzlich jedes Kleid, das nicht grün, blau oder weiß gewesen war, auf geheimnisvolle Weise aus Nynaeves Kleiderschrank verschwunden. »Bleibt nichts anderes übrig.« Es klang nicht gerade erfreut.
    Egwene ertappte sich dabei, wie auch sie ihr Kleid ein Stück hochzog. Es war ein seltsames Gefühl, diese Kleider zu tragen, die nur an ihren Schultern hingen. Andererseits glaubte sie nicht, es ertragen zu können, sich bei dieser Hitze mehr zu bedecken. So leicht es auch war, fühlte sich dieses hellrote Leinenkleid nun doch wie Wolle an. Sie wünschte, sie könnte es über sich bringen, ein solch leichtes und durchscheinendes Gewand zu tragen wie Berelain. Natürlich war das nicht für die Öffentlichkeit geeignet, aber es schien ziemlich kühl.
    Hör auf, immer nur an dein Wohlergehen zu denken, ging sie streng mit sich selbst ins Gericht. Konzentriere dich lieber auf deine Aufgaben. »Vielleicht«, sagte sie laut. »Ich bin aber noch nicht ganz überzeugt.« In der Mitte des Zimmers stand ein langer, schmaler Tisch, den man lackiert und auf Hochglanz poliert hatte. Am Tischende in Egwenes Nähe stand ein großer Stuhl mit hoher Lehne, elegant geschnitzt und an ein paar Ecken vergoldet, aber für die Verhältnisse in Tear war er fast schon einfach zu nennen. Die anderen Stühle hatten viel niedrigere Lehnen, und die am hinteren Ende waren nicht viel mehr als gepolsterte Bänke. Egwene hatte keine Ahnung, wozu dieser Raum bisher gedient hatte. Sie und die anderen benützten ihn, um die beiden Gefangenen zu verhören, die bei der Eroberung

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