Der Schatten erhebt sich
Die Amyrlin und der Hochlord und... Ich habe das nicht geträumt, Thom. Deshalb wollen diese gespreizten Lackaffen nicht mehr weiterspielen. Sie fürchten, daß es wieder passiert. Thom, ich denke daran, aus Tear wegzugehen.« Das Jucken verstärkte sich. Es war wie ein Wespennest auf Thoms Rücken. Warum war er selbst nicht schon lange aus Tear verschwunden? Das wäre doch das Klügste gewesen. Dort draußen lagen Hunderte von Dörfern und warteten darauf, von einem Gaukler unterhalten und verblüfft zu werden. Und in jedem standen ein oder zwei Schenken voll von Wein, um darin die Erinnerungen zu ertränken. Aber wenn er das tat, hätte Rand außer Moiraine niemanden mehr, der verhindern konnte, daß er von den Hochlords mit ihren Intrigen ausmanövriert wurde. Vielleicht würden sie ihm auch einfach die Kehle durchschneiden. Natürlich konnte sie ihm helfen, auch wenn sie andere Methoden dazu anwandte als er. Er glaubte schon, daß sie es schaffen konnte, Rand vor den Hochlords und ihren Machenschaften zu schützen. Sie stammte aus Cairhien, und das bedeutete, daß man ihr das Spiel der Häuser wohl schon mit der Muttermilch eingeflößt hatte. Und während sie ihm half, würde sie Rand noch fester an die Weiße Burg binden. Ihn in ein so starkes Aes-Sedai-Netz verstricken, daß er niemals mehr daraus entkommen würde. Doch falls der Junge ohnehin bereits wahnsinnig wurde...
Narr, schalt Thom sich selber. Ein reiner Narr, der sich in so etwas verwickeln ließ, nur wegen einer Sache, die bereits fünfzehn Jahre zurücklag. Sein Bleiben würde nicht viel daran ändern. Was geschehen war, war geschehen. Er mußte Rand persönlich sehen, gleich, was er ihm vorher in bezug auf das Fernhalten gesagt hatte. Vielleicht würde keiner es allzu eigenartig finden, wenn ein Gaukler darum bat, ein Lied vor dem Lord Drachen zum besten geben zu dürfen. Ein Lied, das er für diesen besonderen Anlaß komponiert hatte. Er hatte da eine fast völlig unbekannte Melodie aus Kandor im Sinn, in der irgendein ungenannter Lord für seine Größe und seinen Mut gepriesen wurde, und das wohl in schwülstigen Versen, aber ohne jemals Taten oder Schauplätze direkt zu erwähnen. Möglicherweise hatte irgendein Lord, der keine nennenswerten Taten vollbracht hatte, das im Auftrag für sich schreiben lassen. Nun, das würde ihm nun zugute kommen. Es sei denn, es fiel Moiraine irgendwie auf. Das wäre genauso schlimm wie die Aufmerksamkeit der Hochlords. Ich bin wirklich ein Narr! Ich sollte noch heute nacht hier abhauen!
In seinem Innern herrschte wilder Aufruhr. Sein Magen brannte, aber er hatte lange Jahre Übung darin, äußerlich keine Gefühlsregungen zu zeigen, und das schon vor der Zeit, als er Gaukler wurde. Er blies drei konzentrische Rauchringe und sagte: »Du hast daran gedacht, Tear zu verlassen, seit du den Stein betreten hast.« Mat saß auf der Kante des Hockers und warf ihm einen bösen Blick zu. »Und das werde ich auch. Mit Sicherheit.
Warum kommst du nicht mit, Thom? Es gibt Städte, wo die Leute glauben, der Wiedergeborene Drache habe seinen ersten Atemzug noch gar nicht getan, und wo jahrelang oder noch nie einer auch nur einen Gedanken an die verfluchten Prophezeiungen des verdammten Drachen verschwendet hat. Orte, wo sie glauben, der Dunkle König sei ein Märchen und Trollocs eine Art von Seemannsgarn und Myrddraal ritten auf den Schatten, um damit kleine Kinder zu erschrecken. Du könntest Harfe spielen und deine Geschichten erzählen, und ich könnte am Spieltisch hocken. Wir könnten wie die Lords leben, reisen, wohin wir wollen, bleiben, wo wir wollen, und niemand würde versuchen, uns umzubringen.« Das ging ihm schon ziemlich ans Eingemachte. Na, er war eben ein Narr, und das stand nun im Raum und mußte verarbeitet werden. »Wenn du wirklich wegwillst, warum bist du dann nicht schon längst losgeritten?« »Moiraine bewacht mich«, sagte Mat mit bitterer Stimme. »Und wenn sie keine Zeit hat, läßt sie mich von jemand anderem überwachen.« »Ich weiß. Die Aes Sedai wollen keinen wieder gehenlassen, den sie einmal in ihren Händen haben.« Es war mehr als das, wie er vermutete, mehr als alles, was nach außen hin bekannt war, aber Mat leugnete jede solche Vermutung strikt ab, und kein anderer, der eingeweiht war, redete darüber, falls überhaupt jemand außer Moiraine Bescheid wußte. Es spielte wohl kaum eine Rolle. Er mochte Mat und verdankte ihm auf gewisse Weise auch einiges, aber Mat und seine Probleme
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