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Der Schatten im Norden

Der Schatten im Norden

Titel: Der Schatten im Norden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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mir die Bemerkung erlauben darf, Sir«, sagte
Frederick keck, »Sie könnten meinen Cousin Frederick
gesehen haben. Er ist Privatdetektiv, und einige
Herrschaften nehmen seine Dienste für Besitz- und
Personenschutz in Anspruch. « Dabei schaute er ihn ganz
unschuldig an.
»Hm«, machte Bellmann. »Nun gut. Aber die
Ähnlichkeit ist frappierend. « Er trat beiseite, damit
Frederick den Sessel hinstellen konnte.
Jim spürte, wie Mr. Protherough aufatmete: Wäre
Frederick enttarnt worden, hätte er seine Anstellung bei
Elliott & Fry verloren. Sie hatten alle ein Risiko auf sich
genommen --- und was versprachen sie sich davon? Es
war eigentlich töricht. Aber wenn sie nicht hergekommen
wären, hätte er sie nie gesehen. Ihre Stimme mutete so
jung an, sie konnte kaum älter als sechzehn sein... Was
zum Teufel ging hier vor, dass sie solch einen Mann
heiraten sollte? Jim betrachtete Bellmann genauer, als
dieser Positur annahm und auf Lady Mary hinabschaute.
In diesem ernsten Gesicht lag Gefahr, das spürte Jim,
aber für wen? Lady Mary nestelte in schmollender
Langeweile an einem Taschentuch, während Bellmanns
hünenhafte Gestalt sie überragte. Er legte seine Hand auf
ihre Schulter, und sie seufzte fügsam und posierte
ebenfalls, den Blick ihrer wunderbaren grauen Augen
fest auf die Kameralinse gerichtet. Die Aufnahme war im
Kasten, die belichtete Platte weggeräumt, man konnte die
Kamera wieder abbauen. Charles kam herüber und ging
plaudernd ein paar Schritte mit Bellmann. Und dann war
der Augenblick da, auf den Jim seit zwanzig Minuten,
oder ein Leben lang gewartet hatte. Sie war
gedankenverloren neben der Statue stehen geblieben,
während Frederick Mr. Protherough beim Abbauen von
Kamera und Stativ half. Die eine Hand lag auf der
Rückenlehne des Sessels, die andere spielte mit einer
Strähne ihres Haars. Und dann schaute sie auf und sah
Jim - und ihre Augen leuchteten. Er machte einen Schritt
auf sie zu, er konnte nicht anders. Sie drehte sich rasch
um, sah, dass sie allein waren, und wandte sich wieder
ihm zu, ihre Gesichter waren jetzt nur eine Handbreit
voneinander entfernt. Er fühlte sich benommen, streckte
die Hand aus und -»Ist er es?«, fragte sie rasch mit
ruhiger Stimme. »Der Mann von Lady Harboroughs
Empfang?«
»Ja«, bestätigte Jim mit heiserer Stimme. »Mylady, ich « »Ist er wirklich ein Detektiv?«
»Ja. Irgendetwas ist hier nicht in Ordnung, nicht wahr?
Können Sie darüber sprechen?«
»Bitte«, flüsterte sie. »Helfen Sie mir. Ich weiß nicht,
mit wem sonst reden. Ich bin ganz allein hier, und ich
muss fliehen. Ich kann ihn unmöglich heiraten ---«
»Hören Sie«, sagte er mit rasendem Herzschlag, »Mein
Name ist Jim Taylor, von Garland & Lockhart, Burton
Street. Wir observieren Bellmann. An dem Mann ist
einiges nicht sauber. Wir helfen Ihnen, das verspreche
ich. Geben Sie uns so bald wie möglich Nachricht und
wir --- «
»Taylor, den Sessel bitte wieder hierher«, rief Mr.
Protherough. Jim nahm den Sessel und lächelte sie an.
Als Antwort huschte ein Lächeln über ihre Lippen, wie
der Wind, der über ein Kornfeld geht, und dann ging sie
ab.
Zu den anderen sagte er nichts, als sie das Haus
verließen. Er hätte auch nichts sagen können, er konnte
kaum glauben, dass er wach oder am Leben war. Ihm war
nach Singen, doch ebenso gut hätte er auch lachen oder
weinen können, oder alles auf einmal.
Später im Verlauf des Tages pochte ein untersetzter
junger Mann an die Tür einer gutbürgerlichen Pension in
Lambeth. Neben ihm stand ein anderer Mann auf der
Treppe --- ein Schläger, wie an der platten Nase und den
Blumenkohlohren unschwer zu erkennen war. Jim hätte
sie wieder erkannt, es waren die beiden Männer, vor
denen er Mackinnon aus dem Britannia Varietee-Theater
gerettet hatte. Kaum wurde die Tür geöffnet (von einer
älteren Dame mit sauberer weißer Schürze), da drängten
sie sich ohne ein Wort ins Haus und schlugen die Tür
hinter sich zu.
»Aufgepasst, Gnädigste«, sagte der junge Mann und
hielt der Frau den Knauf seines Spazierstocks unters
Kinn. »Wohnt hier eine junge Frau mit einem Feuermal
im Gesicht?«
»Oh! Gütiger Himmel --- wer sind Sie? Was wollen Sie
von mir?«, keuchte die Hauswirtin. »Lassen Sie bitte
mein Handgelenk los. Was machen Sie mit mir?«
Der Schläger hatte ihr den Arm auf den Rücken gedreht.
Der junge Mann sprach ungerührt weiter: »Wir müssen
sie sprechen. Bringen Sie uns zu ihr, und zwar sofort.
Und kein Geschrei, sonst bricht Ihnen

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