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Der Schatten im Norden

Der Schatten im Norden

Titel: Der Schatten im Norden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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Druckverhältnissen
arbeiten, glaube ich. Für Einzelheiten müsste ich den
Artikel noch einmal lesen. Aber Nordenfels ist spurlos
verschwunden, vor drei oder vier Jahren schon. Vielleicht
hatten sie sich damals geschäftlich getrennt. Allerdings
habe ich so ein Gefühl, als ob... «
»Hm«, machte Mr. Temple. »An deiner Stelle würde ich
Gefühle vermeiden. Halte dich an Tatsachen. Du bist bei
der Anglo-Baltischen Schifffahrtsgesellschaft auf eine
Spur gekommen - das ist ziemlich klar. Hast du schon die
Versicherung der Ingrid Linde überprüft?«
»Steht dort auf dem gelben Blatt. Alles in Ordnung.
Kein Fall von Versicherungsbetrug. « Nach einer Weile
fuhr sie fort. »Dieser Windlesham hat von rechtlichen
Schritten gesprochen. Könnte er damit eine einstweilige
Verfügung gemeint haben?« »Da habe ich meine
Zweifel. Dafür müsste man vor Gericht beweisen, dass
erstens die Aktivität, wegen der er klagt, in sich
widerrechtlich war, was du abstreiten würdest, und
zweitens, dass das richtige Rechtsmittel dagegen nicht
Schadensersatz wäre. « »Dann sind diese rechtlichen
Schritte also nur ein Bluff?« »Das vermute ich. Aber es
gibt andere Mittel, dir zu schaden. Deswegen habe ich
dich ja gebeten, vorsichtig zu sein. « »Ja, das werde ich.
Aber deswegen höre ich nicht mit meinen
Nachforschungen auf. Er führt etwas Böses im Schilde,
Mr. Temple. Da bin ich mir ganz sicher. «
»Du magst Recht haben. Ich will dich nicht weiter
aufhalten, aber ich habe da einen Mr. O'Connor, der
tausend Pfund geerbt hat. Soll ich ihn einmal zu dir
schicken, damit du ihn berätst, wie er mehr daraus
machen könnte?«
Im Herzen des Londoner Finanzviertels saß zur gleichen
Zeit der Ex-Kabinettsminister Lord Wytham im Korridor
vor einem beeindruckenden Büro und trommelte mit den
Fingern auf seinen Seidenhut. Jedes Mal, wenn ein
Angestellter aus einer Tür kam oder um die Ecke bog,
sprang er auf.
Lord Wytham war ein gut aussehender Mann, doch von
jener rehäugigen, gepflegten Männlichkeit, die selten
geworden war und leicht wie Schwäche wirkte.
Als Frederick ihn am Abend zuvor gesehen hatte, war
sein erster Eindruck der einer aufzehrenden Angst
gewesen, und hätte er ihn jetzt sehen können, hätte sich
dieser Eindruck noch verstärkt. Die Fingernägel waren
bis aufs Fleisch abgebissen. Die großen dunklen Augen
waren an den Rändern gerötet, und der graue Schnurbart
war vom Herumkauen auf den Enden außer Form
geraten. Er konnte keine Minute lang stillsitzen; wenn
niemand auf dem Korridor vorbeikam, stand er einfach
auf und starrte mit blicklosen Augen auf die Bilder an der
Wand, oder er schaute aus dem Fenster, das zur
Threadneedle Street hinausging.
Schließlich ging eine Tür auf und ein Angestellter kam
heraus. »Mr. Bellmann erwartet Sie in seinem Büro,
Mylord«, sagte er. Lord Wytham nahm Hut und Stock
und folgte dem Sekretär durch ein Vorzimmer in ein
großes, nach dem neuesten Geschmack eingerichtetes
Büro. Axel Bellmann erhob sich von seinem Stuhl hinter
dem Schreibtisch und kam mit ausgestrecker Hand heran.
»Schön, dass Sie gekommen sind, Wytham«, begrüßte er
ihn und bedeutete ihm, in einem Sessel Platz zu nehmen.
»Ein merkwürdiger Abend gestern bei Lady Harborough,
fanden Sie nicht?« Er sprach mit tiefer, fast akzentfreier
Stimme. Sein Gesicht war faltenlos, sein Haar glatt und
üppig. Er konnte ebenso gut dreißig oder sechzig Jahre
alt sein. Wie sein Büro, so machte auch er selbst einen
fabrikmäßigen Eindruck, so groß, glatt und kräftig wirkte
er - allerdings war es die Glätte einer Maschine, nicht die
Glätte eines gehätschelten Körpers. Aus den leicht
vorstehenden Augen kam ein direkter, einschüchternder
Blick. Sie verrieten kein Gefühl und keine Stimmung;
obwohl sie nur selten zwinkerten, waren sie nicht tot,
sondern von geradezu elektrischer Spannung.
Lord Wytham ertappte sich dabei, wie er wegschaute
und die Krempe seines Hutes knetete. Der Sekretär bot
an, ihm den Hut abzunehmen, und Wytham gab ihn ihm.
Bellman sah zu, wie der Mann den Hut auf dem
Hutständer ablegte und den Raum verließ. Dann wandte
er sich an Lord Wytham.
»Auf Lady Harboroughs Abendgesellschaft«,
wiederholte er. »Ein merkwürdiger Abgang, nicht war?«
»Ach, der Bursche, der sich so plötzlich empfohlen hat.
Ja, allerdings. «
»Wie fanden Sie die Zaubernummer?« »Dazu kann ich
wenig sagen, mir fehlt die Erfahrung... « »Wirklich? Ich
finde es interessant zuzuschauen. Vielleicht hätten Sie
etwas

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