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Der Schatten im Norden

Der Schatten im Norden

Titel: Der Schatten im Norden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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genauer hinsehen sollen. «
Obwohl das merkwürdig ausgedrückt war, ging Lord
Wytham auf diese gegen ihn gerichtete Spitze nicht ein.
Seine dunklen, geröteten Augen wanderten durch den
Raum, als ob sie Bellmanns Blick vermeiden wollten.
»Nun gut«, sagte Bellmann nach einem Augenblick des
Schweigens. »Vielleicht fragen Sie sich, warum ich Sie
eingeladen habe, heute Morgen zu mir zu kommen. Ich
weiß, dass Sie aus dem Kabinett entlassen worden sind. «
Lord Wythams Gesicht verschattete sich.
»Der Premierminister - ähm - wünschte die Ressorts neu
zu verteilen und... «, brachte er stockend hervor.
»Ja, und da wurden Sie entlassen. Jetzt steht es Ihnen
frei, eine aktive Rolle im Wirtschaftsleben zu spielen,
nicht wahr?« »Wie darf ich das verstehen?«
»Nichts hindert Sie, zum Beispiel Direktor einer Fabrik
zu werden. « »Ja, in der Tat. Außer dass... Nein,
eigentlich nicht. Aber ich verstehe immer noch nicht, Mr.
Bellmann. «
»Nun, dann muss ich mich deutlicher erklären. Ich
kenne Ihre finanzielle Lage genau, Wytham. Sie sind mit
fast vierhunderttausend Pfund verschuldet, als Folge von
leichtsinnigen Kapitalanlagen, sorgloser Verwaltung und
mangelhafter Beratung. Es besteht keine Aussicht, die
Schulden zurückzuzahlen, zumal Sie jetzt nach der
Entlassung aus dem Kabinett keinen Posten mehr haben.
Mit anderen Worten, Sie steuern geradewegs auf den
Bankrott zu. Zweifellos eine demütigende Aussicht.
Werfen wir daher einen Blick auf Ihre Vermögenswerte:
Diese bestehen fast ausschließlich aus Ihrem Londoner
Haus und Ihrem Grundbesitz. Aber beides ist mit
Hypotheken belastet, nicht wahr?«
Lord Wytham nickte. Woher wusste der Mann das
alles? Aber er war zu müde, um zu protestieren.
»Außerdem ist da noch der Besitz Ihrer Tochter«, fuhr
Bellmann fort. »Soweit ich weiß, hat sie Ländereien in
Cumberland. « »Äh, ja. Das ist richtig. Freilich ohne
Nutzen für mich. Ich komme da nicht ran - das habe ich
schon versucht. Eingeschränkter Vermögenszugriff; an
die mütterliche Seite der Familie gebundenes Eigentum,
irgend so etwas. Bergwerke und so weiter. « »Grafit. «
»Ja, beim Jupiter, das ist es. Hat irgendetwas mit
Bleistiften zu tun, glaube ich. «
»Die Bergwerke, die sie besitzt, haben ein Monopol auf
eine ganz bestimmte reine Form von Grafit. «
»Das würde mich nicht wundern. Mein Verwalter in
Carlisle kümmert sich darum. Macht das schon seit
Jahren. Grafit braucht man für Bleistifte. Aber da ist kein
Geld zu holen, nichts zu machen... « »Ich verstehe«,
sagte Bellmann. »Wie ich sehe, brauche ich Sie gar nicht
erst zu fragen, was Sie zu tun gedenken. Ganz
offensichtlich wissen Sie sich keinen Rat. « Lord
Wytham wollte protestieren, doch Bellmann hob die
Hand und fuhr fort: »Deswegen habe ich Sie ja gebeten,
heute Morgen zu mir zu kommen. Ich kann Ihnen einen
Posten als Direktor einer Firma anbieten, die ich
gegründet habe. Sie gehören nicht mehr dem Kabinett an,
aber Ihre Kontakte zu Regierungskreisen könnten von
beträchtlichem Nutzen für mich sein. Ich bezahle Sie
nicht für Ihre Kompetenz in Wirtschaftsfragen, denn Sie
haben keine. Ihr Direktorengehalt ergibt sich aus den
Verbindungen, die Sie zur Regierungsbürokratie haben. «
»Verbindungen?«, fragte Lord Wytham schwach. »Zu
Vertretern des Handels- und des Außenministeriums. Um
es genauer zu sagen, wegen Exportlizenzen. Sie kennen
doch sicherlich die zuständigen Herren?«
»Oh ja, selbstverständlich. Ständige Staatssekretäre und
so weiter. Aber -«
»Ich erwarte nicht, dass Sie Einfluss ausüben, dazu
wären Sie nicht in der Lage. Sie stellen die Verbindungen
her, und ich sorge für den Einfluss. So weit zur Frage
Ihres Gehalts. Bleibt das Problem Ihrer Schulden. Die
werden Sie nicht mit Ihrem Direktorengehalt abzahlen
können, das muss ich Ihnen gleich sagen. Doch auch
dafür gibt es eine Lösung. Ich möchte Ihre Tochter
heiraten. « Was man ihm da sagte, war so ungeheuerlich,
dass Lord Wytham erst glaubte, er habe sich verhört, und
nur erstaunt zwinkerte. Bellmann fuhr fort:
»Ich trage mich schon seit einiger Zeit mit dem
Gedanken, mir eine Gattin zu wählen. Ich habe Ihre
Tochter gesehen und Gefallen an ihr gefunden. Wie alt
ist sie?«
Lord Wytham schluckte. Das war grotesk, ja pervers.
Dieser Schuft! Wie konnte er es wagen? Dann wurde ihm
bewusst, welches Unheil sich über ihm zusammenbraute
und ihn wie eine Riesenwoge zu verschlingen drohte.
Hilflos sank er auf seinen Sessel zurück. »Siebzehn.

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