Der Schatten im Norden
hörte sie Schritte im
Korridor und steckte die Karte in ihren Handschuh. Die
Tür ging auf und ein kräftiger Mann mittleren Alters trat
ein. Aus seinem ganzen Auftreten schloss sie, dass er
wichtig in der Firma war, keine ausstaffierte Null wie der
Laffe von vorhin.
Chaka lag bei Fuß. Diesmal keine Drohungen, sagte
sich Sally, jetzt eine andere Taktik. Sie lächelte und
streckte die Hand zum Gruß aus.
Leicht verblüfft ergriff sie der Mann.
»Man hat mich darüber informiert, dass Sie Mr.
Bellmann zu sprechen wünschen«, sagte er. »Lassen Sie
uns einen Termin ausmachen. Vielleicht können Sie mir
vorab schon sagen, worum es sich handelt, dann - «
»Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich Mr. Bellmann
sprechen möchte, und zwar in drei Minuten. Andernfalls
gehe ich unverzüglich zur Pall Mall Gazette und erzähle
denen, was ich über Mr. Bellmanns Rolle bei der
Schließung der schwedischen Zündholzfabrik weiß. Also
drei Minuten, ich spaße nicht. « »Ich --- «
Er schluckte, drehte sich auf den Absätzen und
verschwand. In Wirklichkeit wusste Sally nichts
Sicheres. Es hatte Gerüchte und Andeutungen über
unsaubere Dinge gegeben, aber nichts wirklich
Stichhaltiges. Doch es schien zu wirken. Keine zwei
Minuten später wurde sie in Mr. Bellmanns Büro geführt.
Er blieb hinter seinem Schreibtisch sitzen.
»Nun«, begann er, »ich habe Sie gewarnt, Miss
Lockhart. « »Wovor haben Sie mich gewarnt? Darüber
sollte Klarheit herrschen, Mr. Bellmann. Womit soll ich
denn aufhören und was wollen Sie tun, wenn ich Ihre
Warnung nicht beachte?« Sie setzte sich ruhig hin,
obgleich ihr Herz heftig pochte. Bellmann hatte eine
starke Ausstrahlung. Sie hatte das Gefühl, einen großen
Dynamo vor sich zu haben, der sich so schnell drehte,
dass eine Bewegung gar nicht zu erkennen war. Er sah
sie bedeutungsvoll an.
»Sie müssen aufhören, Dinge verstehen zu wollen, die
zu hoch für Sie sind«, sagte er nach einer Weile.
»Andernfalls werde ich allen Personen, die Ihnen helfen
oder sich für Sie verwenden könnten, umgehend davon in
Kenntnis setzen, dass Sie eine liederliche Person sind, die
auf unmoralische Weise ihren Lebensunterhalt verdient.
« »Wie bitte?«
Der Ausdruck seiner Augen bekam einen
unfreundlichen Zug; sie merkte, dass er ein Lächeln
aufsetzte. Er holte eine lederne Aktenmappe aus der
Schublade seines Schreibtisches. »Ich habe hier eine
Aufstellung der Besuche, die Sie von unbegleiteten
Herren in der King Street, Ihrer Geschäftsadresse,
erhalten haben. Allein im vergangenen Monat haben Sie
nicht weniger als vierundzwanzig Besucher empfangen.
Erst neulich Abend ist ein Mann zu später Stunde ---
genau gesagt um halb zwei Uhr --- zu Ihnen gekommen,
wurde eingelassen und blieb über eine Stunde, ehe er
wieder ging. Als mein Sekretär Mr. Windlesham gestern
Ihr so genanntes Büro besuchte, stellte er fest, dass dort
neben anderen Möbeln auch ein großes Sofa steht. Damit
nicht genug, stehen Sie bekanntermaßen in geschäftlicher
Verbindung mit einem Fotografen namens Webster
Garland, der sich auf Aktaufnahmen spezialisiert hat. «
Sie biss sich auf die Lippen: ruhig Blut.
»Da liegen Sie ganz falsch«, sagte sie so gelassen wie
möglich. »Mr. Garland ist seines Zeichens
Porträtfotograf. Was die anderen abstrusen
Behauptungen betrifft, wenn Sie nichts Triftigeres gegen
mich in der Hand haben, geben Sie am besten gleich auf.
« Er hob die Augenbrauen. »Wie naiv von Ihnen. Sie
werden sich rasch davon überzeugen, wie sehr Ihnen
solche Anschuldigungen schaden können. Eine ledige
junge Frau, die Geld verdient... übel beleumundete
Geschäftspartner... «
Er lächelte wieder, und ihr wurde es kalt im Rücken,
denn er hatte Recht mit dem, was er sagte. Gegen solchen
Schmutz konnte man sich nicht wehren. Nicht beachten
und weitermachen, ermahnte sie sich.
»Ich möchte keine Zeit verschwenden, Mr. Bellmann«,
fuhr sie fort. »Wenn ich Sie nochmals besuchen sollte,
wäre es besser, mich gleich vorzulassen. Doch zur Sache:
Mit Ihren Machenschaften bei der Anglo-Baltischen
Schifffahrtsgesellschaft: haben Sie eine Klientin von mir
um ihre gesamte Altersversorgung gebracht. Es handelt
sich um Miss Susan Walsh. Sie war Lehrerin, und zwar
eine gute. Sie hat ihr Leben der Erziehung junger
Mädchen gewidmet. Sie hat viel Gutes getan, nie
jemandem geschadet, und jetzt, da sie im Ruhestand ist,
hat sie ein Anrecht, von ihrem Ersparten zu leben. Ich
hatte ihr geraten, in die Anglo-Baltische
Schifffahrtsgesellschaft zu
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