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Der Schatten im Norden

Der Schatten im Norden

Titel: Der Schatten im Norden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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diesen Zuständen auf sich?«
»Ganz ehrlich, Süßer, ich habe keinen blassen
Schimmer. Das überkommt mich einfach so, und eine
Minute später bin ich wieder bei Bewusstsein, aber ich
kann mich an nichts mehr erinnern. Warum die Frage?«
Frederick empfand allmählich Sympathie für Nellie
Budd. Er erlaubte ihr daher einen Blick in seine Karten.
»Kennen Sie einen gewissen Bellmann?«, fragte er. Sie
schüttelte den Kopf. »Nie von ihm gehört. « »Oder eine
Firma mit dem Namen Northstar?« »Mir unbekannt,
wirklich, Süßer. «
»Gut, dann werde ich Ihnen jetzt vorlesen, was Sie
neulich gesagt haben. « Er holte ein gefaltetes Blatt
Papier mit Jims Nachschrift aus der Tasche und las es ihr
laut vor. Am Schluss schaute er auf und fragte sie: »Was
halten Sie davon?«
Sie schien amüsiert. »Habe ich das wirklich gesagt?
Was für ein blühender Unsinn!«
»Wissen Sie wirklich nicht, woher Sie das alles haben?«
»Wahrscheinlich ist es - wie heißt das doch gleich Telepathie. Ich lese wohl die Gedanken eines anderen.
Du liebe Güte, ich weiß es nicht. Ich verstehe genauso
viel von Glassärgen und Funken wie der Mann im Mond.
Warum wollen Sie das eigentlich wissen?« »Ein Herr aus
der spiritistischen Liga ist Buchhalter bei einer
Finanzfirma in der Londoner City. Er macht sich Sorgen
über einiges, was er aus Ihrem Mund gehört hat. Es
scheint brisantes Insider-Wissen darunter zu sein. Wenn
das durchsickern sollte, so fürchtet er, könnte man ihn in
Verdacht haben. «
»Also, da bin ich platt! Das hat alles mit Geschäften zu
tun?« »Manches schon«, bemerkte Frederick. Dann kam
ihm plötzlich ein Gedanke. »Kennen Sie zufällig einen
Mann namens Mackinnon?« Jetzt hatte er sie erwischt.
Ihre Augen weiteten sich, während sie sich im Sofa
zurücklehnte.
»Alistair Mackinnon?«, fragte sie, »der Mann, den man
den Magier des Nordens nennt?«
»Genau den. Dieser Bellmann, den ich vorhin erwähnt
habe, scheint aus irgendeinem Grund hinter Mackinnon
her zu sein. Wissen Sie vielleicht mehr über ihn, über
Mackinnon, meine ich?« Sie schüttelte den Kopf. »Ich...
Ich habe ihn in Varieteetheatern gesehen, ein toller
Bursche. Aber kein Mann, dem man vertrauen könnte.
Nicht wie mein Josiah, auch wenn Josiah als Zauberer
ein paar Klassen schlechter war. Aber über diesen
Bellmann weiß ich nichts. «
»Oder... « Er dachte an den Abend bei Lady
Harborough. »Wie steht's mit einem Mann mit Namen
Wytham?« Diesmal war sie wirklich erschrocken. Sie
zuckte zusammen und legte die Hand an die Brust.
Frederick schien es, dass sie trotz Schminke blass wurde.
»Wytham?«, vergewisserte sie sich. »Doch nicht Johnny
Wytham?« »Kennen Sie jemanden, der so heißt?«
»Johnny Wytham. Mittlerweile ist er Lord Wytham. Er
hieß Johnny Kennett, als ich ihn kennen lernte --- damals
bin ich noch herumgetingelt. Er wollte mich heiraten,
und dann... Nun, ich habe mit Josiah einen guten
Ehemann bekommen. Aber Johnny Wytham, das war ein
Mann, der hatte Witz, und dabei gut aussehend. Mein
Gott, wie schick der war. Jetzt ist er ein hohes Tier... «
Sie musste früher ein tolles Mädchen gewesen sein,
dachte Frederick. Keine atemberaubende Schönheit, aber
voll unbändiger Lebenslust. »Hier, schaun Sie mal«,
sagte sie und öffnete eine Schublade. Sie holte eine
Fotografie in einem Silberrahmen heraus --- eine
Ambrotypie von der Art, wie sie vor zwanzig Jahren oder
mehr einmal sehr verbreitet war. Zwei dralle, in knappen
Ballettkostümen steckende Mädchen von vielleicht
zwanzig Jahren lächelten dem Betrachter entgegen und
zeigten ihre wohlgeformten Beine. Es waren Zwillinge,
die sich wie ein Ei dem anderen glichen. Die
Bildunterschrift unter dem Porträt lautete »Miss Nellie
und Miss Jessie Saxon«. »Die Rechte, das bin ich«,
erläuterte Sie, »Jessie tingelt immer noch herum, oben im
Norden. Wir waren ein hübsches Duo, nicht wahr?«
»Unbedingt. Kannte Ihre Schwester auch Lord
Wytham?« »Sie kannte ihn, aber er war auf mich
abonniert... Wer weiß, vielleicht wäre ich heute Lady
Wytham, wenn es damals anders gekommen wäre. «
»Wann haben Sie ihn denn zum letzten Mal gesehen?«
»Komisch, dass Sie gerade das fragen«, sagte sie. Dann
stand sie auf und ging zum Fenster, so als ob sie etwas
verlegen wäre. Der rötliche Kater Ramses sprang aufs
Sofa und kuschelte sich an den warmen Platz, wo sie
eben noch gesessen hatte. Sie griff nach einer Quaste des
Vorhangs und nestelte daran herum, den Blick wie
abwesend auf die

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