Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schatten im Wasser

Der Schatten im Wasser

Titel: Der Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
Vom Netzwerk:
darauf angesprochen: »Seid ihr etwa farbenblind, du und Katrin? Es heißt doch rosa, dann müsst ihr euch wohl auch an rosa halten.« Das war, als er einmal bei ihnen im Laden vorbeigeschaut hatte. Er wusste, dass sie es gut fand, wenn er kam, dass sie ihren Sohn gerne vorzeigen und vor Publikum ein bisschen mit ihm angeben wollte. Katrin, ihre Geschäftspartnerin, hatte nämlich keine Kinder.
    Heute hatte sie allerdings schlechte Laune.
    »Und was hast du den lieben langen Tag getrieben?«, fragte sie gereizt, während sie begann, die Lebensmittel auszupacken. »Hast du dir vielleicht sogar einen Job besorgt?«
    Es juckte ihm in den Handflächen. Fühlte sich taub an und kribbelte. Er griff nach einer Milchpackung, um sie in den Kühlschrank zu stellen, aber sie riss sie an sich.
    »Und?«, fragte sie, wobei ihre Stimme jetzt näselnd und keifend klang, wie so oft, wenn sie richtig schlechte Laune hatte.
    Er ließ die Arme hängen. Ging und stellte sich ans Fenster. Knipste ein Blatt von einer der Topfpflanzen ab, stand dort und presste es so stark zwischen den Fingern, dass der Saft herausdrang.
    »Wie du wieder herummeckerst«, entgegnete er düster. »Ich kümmere mich drum, hab ich doch gesagt.«
    Sie holte eine Pfanne hervor und gab einen Schuss Öl hinein. Nach einer Weile begann es zu zischen und zu dampfen. Er vernahm das Hacken des Messers auf dem Schneidebrett.
    »Was heißt kümmern?«
    »Beim Presseamt.«
    »Presseamt?«
    »Ja. Ich soll nächste Woche zum Vorstellungsgespräch kommen.«
    »Hm.« Sie klang nicht gerade überzeugt. Schnell und mit hektischen Bewegungen rührte sie mit dem Bratenwender in der Pfanne. Nathan hatte die Nase voll gehabt von ihr. Micke begriff, warum. Nathan und Nettan. Es klang gut, wie ein Reim aus einem Kinderlied. Aber natürlich funktionierte es nicht.
    In einer Schublade im Sekretär lag ihr Hochzeitsfoto. Ganz unten unter einem Stapel von Papieren. Manchmal nahm er es heraus und betrachtete es. Nettan im ausgeschnittenen Kleid und kleinen Blütenknospen im Haar. Sie wirkte so jung auf dem Bild, mit ihren runden Wangen glich sie einem Kind. Nathan trug einen weißen Anzug und ein Hemd, das oben aufgeknöpft war. Unrasiert, genau wie die Männer in der Zigarettenwerbung. Er umarmte sie, seine großen breiten Hände. Genau solche Hände, wie er selbst hatte.
    Kurz nach der Hochzeit wurden seine Zwillingsschwestern, Jasmine und Josefine geboren. Sie waren jetzt erwachsen und schon längst von zu Hause ausgezogen. Er traf sie selten, vermisste sie jedoch auch nicht besonders. Eigentlich gar nicht.
     
    Direkt nach dem Abendessen ließ er Wasser ins Spülbecken und wusch ab. Normalerweise wurde sie dann ruhiger, hörte auf, so verdammt auf ihm rumzuhacken. Seine kräftigen Finger umschlossen die Spülbürste und schrubbten und rieben. Nettan stand an die Arbeitsplatte gelehnt.
    »Ich habe ja nicht vor, dich rauszuschmeißen«, sagte sie gequält, als verursachte es ihr Schmerzen, das hervorzubringen. »Aber wenn du dir doch endlich einen Job suchen würdest, Micke. Du weißt, als ich in deinem Alter war, da hatte ich schon viele Jahre lang gearbeitet. Zuerst bei Gulins und dann bei Hennes & Mauritz. Bis die Mädchen kamen, um nicht zu sagen, bis zur Entbindung. Ich habe ein Taxi direkt von der Arbeit zur Klinik genommen.«
    Ich weiß, dachte er. Und zwei Jahre später bekamst du mich.
    Laut sagte er:
    »Ja, mach ich ja auch. Ich kümmere mich darum, wie gesagt.«
    23 Jahre. Ein Jahr älter als er. So alt war Nettan gewesen, als sie dort auf dem Entbindungstisch lag und bis hin zum feuerspeienden Maul des Drachens aufriss. Na ja, vielleicht übertrieb er ein wenig. Aber dennoch. Micke hatte nie darum gebeten, zur Welt zu kommen, und dennoch schien es ihm, als sei es seine Schuld, dass sie so leiden musste. Sie hätte ja auch einen Kaiserschnitt wählen können!
    Als Karla Faye Tucker 23 Jahre alt war, tötete sie zwei Personen mit einer Pickaxe. Er hatte den Begriff in einem Lexikon nachgeschlagen, es war eine Art Spitzhacke. Sie bekam natürlich ihre Strafe. Erst höllisch viele Jahre in der Todeszelle. Und dann, an einem frühen Morgen im Februar, einem ganz gewöhnlichen Dienstagmorgen, wurde sie auf einem weißen Laken festgespannt, sodass sich ihr lockiges Haar darauf ausbreitete. Da lag sie, und ihr flatternder Blick irrte umher, während ihr Herz zuckte und schlug. Schließlich kam der Mann herein, der Mann mit den Spritzen.
    Er selbst war damals sechzehn. Es war in dem

Weitere Kostenlose Bücher