Der Schatten im Wasser
er zu schnurren. Sein Fell war weich und ungewöhnlich kühl. Es war unglaublich. Der verdammte Kater schien ihn zu mögen!
Er kippte den Kasten ganz um und hob den Kater hoch. Hielt ihn an seinen Oberkörper, streichelte ihn. An Joggen war nun nicht mehr zu denken, doch er setzte sich in Bewegung, ging mit Siebenmeilenschritten. Das Tier machte keine Anstalten, sich zu befreien. Im Gegenteil, es lag wie benommen an sein Shirt gedrückt, sodass er später Mengen von kurzen, rotbraunen Katzenhaaren aus seinen Kleidern würde entfernen müssen. Doch auch das würde nichts nützen, Nettan würde dennoch einige entdecken und einen spitzen Lacher ausstoßen.
»Oh, mein lieber Micke, hast du ein Mädchen gefunden?«
Nicht einmal in der Nähe des Häuschens versuchte der Kater zu entschlüpfen. Er hielt ihn mit dem einen Arm und öffnete die Pforte mit dem anderen.
»Hallo!«, rief er.
Das Haus war alt und baufällig. Die Veranda musste dringend gestrichen werden, und mehrere Ziegel hatten sich vom Dach gelöst. Die Tür war angelehnt, er rief noch einmal: »Hallo, ich bin jetzt hier mit Ihrer Katze!«
Da kam der alte Mann heraus. Er sah genauso kränklich blass aus wie seine Frau, vielleicht war das normal, wenn man älter wurde, vielleicht verlor die Haut irgendwann ihre Fähigkeit, Farbe anzunehmen. Seine Hände waren lang und mager und von blauschimmernden Adern durchzogen, die wie Schnüre über seine Handrücken liefen.
»Räven!«, rief er mit belegter Stimme, und erst da reagierte das Tier, es zappelte mit den Pfoten und sprang herunter. Flitzte ins Haus wie ein knallroter Blitz. Von drinnen ertönte ein erstickter Schrei, der von Lachen und lautem Jubel abgelöst wurde.
»Henry, Henry, hast du schon gesehen, wer hier ist?«
Dann wollten sie ihn zum Kaffee einladen. Er lehnte ab, erklärte, dass er keinen Kaffee trinke. Dann eben etwas anderes, vielleicht ein Bier?
Micke sah sich gezwungen nachzugeben. Es war ein diesiger Tag, Regen lag in der Luft. Er musste seinen Kopf einziehen, als er durch die Tür ging. Die Frau stand in der kleinen Kochnische und goss Sahne in eine Schale. Es gab keinen richtigen Herd, nur einen zweiflammigen Gaskocher, der auf einer mit schmierigem Schrankpapier überzogenen Anrichte stand. Auf der Fußmatte saß der Kater.
Das Wohnzimmer war extrem klein. Mittendrin standen zwei durchgesessene Sessel und ein Tisch aus Kiefernholz, der in dem beengten Raum völlig überdimensioniert erschien. An der Wand stand ein Küchensofa, und auf einem kleinen Schränkchen am Fenster ein Fernseher. Von der Decke hingen Spinnweben, in denen sich Sägespäne verfangen hatten. Es roch sauer und muffig, möglicherweise nach Schimmel, nach Feuchtigkeit und alten Menschen. Hinter einem mit großen Sonnenblumen bedruckten Vorhang hatten die Alten ihre Betten. Alles wirkte so beengt und dunkel, dass er sich unwohl fühlte.
Er saß auf den durchgesessenen Sofakissen und begann langsam zu frieren, so wie jedes Mal, wenn er nicht unmittelbar nach dem Joggen duschte. Der Alte öffnete eine Dose Bier. Er stellte zwei Gläser auf den Tisch und schenkte ein.
»Du hast unseren Miezekater gefunden und ihm das Leben gerettet.«
Ja, das konnte er nicht leugnen.
»Wer kann nur so etwas tun? Wie grausam die Welt doch sein kann!«, jammerte die alte Frau und wiegte dabei ihren Oberkörper vor und zurück. Auf ihrem Kinn und der Oberlippe wuchsen vereinzelte weiße Haare. Der Mann strich ihr über die Wange. Es sah irgendwie rührend aus. Auch wenn sie schon so alt waren.
»Was können wir dir geben, wie können wir dir danken?«
Er öffnete sein Portemonnaie und zog einen Hunderter hervor.
»Nein, nein, das ist absolut nicht nötig!«
»Doch, doch. Und ob es nötig ist! Dieser kleine Kater bedeutet uns sehr viel, weißt du. Wir haben keine Kinder und keine Verwandten. Jedenfalls keine, die wir gern haben, he, he. Wir haben keinen außer Räven.«
Der Kater lag auf dem Schoß der Frau. Er betrachtete Micke unaufhörlich.
»Wir möchten dir Geld geben«, pflichtete sie bei, »wir möchten uns erkenntlich zeigen.«
Schließlich war er gezwungen, den zusammengefalteten Schein anzunehmen.
Als er gehen wollte, warf er zufällig einen Blick auf die Wand über dem Fenster links der Tür. Dort hing eine Schrotflinte. Der Alte folgte seinem Blick.
»Sie ist verstopft«, sagte er schnell.
»Wie bitte?«
»Die Flinte dort. Sie funktioniert nicht mehr.«
»Nein?«
»Ich habe sie von meinem Bruder geerbt,
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