Der Schatten im Wasser
als er starb. Er war Jäger. Aber ich habe nie …« Er senkte die Stimme. »Märta ist gegen all diese Dinge. Und ich eigentlich auch.«
»Okay.«
»Und dennoch kann es nützlich sein, so ein Ding zu besitzen, falls man unerwartet Besuch bekommt. Auf den ersten Blick merken sie vielleicht nicht unbedingt, dass man damit nicht schießen kann. So denke ich es mir jedenfalls.«
»Schon klar.« Micke trat auf den Treppenabsatz hinaus. Er spürte die Hand des Alten auf seinem Arm.
»Hör mal, eine Sache noch. Eigentlich darf man sie ja nicht so offen herumhängen lassen. Ich glaube sogar, dass es inzwischen ein Gesetz gibt, das besagt, dass man sie in einem Sicherheitsschrank verwahren muss. Oder sie zumindest festketten muss oder so. Wie auch immer. Jedenfalls, was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Oder?«
»Genau.«
»Also wäre es gut, wenn du es nicht gerade ausposaunen würdest.«
»Natürlich nicht.«
»Du weißt ja, wie die Leute sind, Tratsch und Klatsch weit und breit.«
Er begann sie zu besuchen. Als er das nächste Mal vorbeikam, stand eine Leiter ans Dach gelehnt. Der Alte war gerade dabei, mit seinen gebrechlichen, leicht zitternden Beinen hochzusteigen. Micke sah sich gezwungen, die Pforte zu öffnen und hineinzugehen.
»Verzeihung, aber was haben Sie vor?«
Henry hatte gerade mal die erste Sprosse erklommen. Er stieg unmittelbar wieder hinunter ins Gras. Hielt sich an der Leiter fest, schloss die Augen.
»Ich wollte eigentlich das Dach reparieren.«
Micke entdeckte die Dachziegel, die auf dem Boden verstreut lagen.
»Die sind heruntergefallen«, brummelte er. »Schon vor einer ganzen Weile. Also nicht mit diesen, die sind ja hinüber, die kann die Frau für ihre Blumentöpfe nehmen. Aber ich habe auf dem Dachboden ein paar neue gefunden. Na ja, neu ist übertrieben, sie sind wahrscheinlich übriggeblieben, als das Dach zuletzt gedeckt wurde. Doch das war vor meiner Zeit.«
»Es sah nur etwas wackelig aus«, gab Micke zu bedenken.
Der Alte brummte vor sich hin.
»Tja, es ist höher, als man denkt.«
»Sollen die dort oben angebracht werden?«
»Ja. Sozusagen an die rechte Stelle gerückt werden. Oberhalb der Latte.«
»Okay, ich klettere rauf und bring das in Ordnung.«
»Nein, das musst du wirklich nicht.«
»Ich mache das.«
»Ja, aber du bist doch auf dem Sprung, du wolltest doch rennen.«
»Das kann ich auch später noch tun. jetzt bring ich erst mal die Dachziegel an.«
Henry trat ein paar Schritte zurück.
»Würdest du es wirklich tun? Bist du dir sicher?«
»Na klar.«
»Mir ist nämlich ein wenig schwindelig geworden, musst du wissen. Es überfiel mich einfach so.«
»Lassen Sie nur, ich mach das schon.« Er ließ sich dazu verleiten, dem Alten die Hand auf die Schulter zu legen. Er war überrascht, wie knochig sie sich anfühlte. Geradezu spitz. Mager wie ein Hühnerbein.
Er kümmerte sich auch um andere Reparaturen. Nach und nach. Half den beiden, das Gras zu mähen, und strich die Veranda an den Stellen, an denen die Farbe abgeblättert war.
»Es kommt mir vor, als hätten wir ein Enkelkind«, murmelte Märta, und ihre hellen, nahezu farblosen Augen wurden feucht.
»Äh«, entgegnete Micke. »Man hilft eben, wo man kann.«
Er war alten Menschen noch nie so nahe gekommen. Seine eigene Großmutter hatte wieder geheiratet und wohnte jetzt in Alicante. Außerdem war sie keinesfalls so alt wie Märta. Sie hatte Nettan bereits in jungen Jahren bekommen. Nathans Eltern hingegen waren schon länger tot, seine Großeltern väterlicherseits hatte er nie kennen gelernt. Henry und Märta, die waren auf seiner Wellenlänge. Doch er vermied es. Nettan von ihnen zu erzählen, sie würde nur alles kaputt machen.
Sie hatten das Häuschen irgendwann in den Siebzigern gekauft.
»Lange bevor du geboren wurdest«, gluckste Henry. »Da waren wir noch jung, jedenfalls relativ gesehen. Wie lange kann man sich eigentlich als jung bezeichnen? Habt ihr jemals darüber nachgedacht? Wann beginnt das Alter?« Er pflegte sich manchmal in philosophische Erörterungen zu verwickeln, die meist eher uninteressant waren.
»Das Haus war von 1909. Also fast hundert Jahre alt. Es wurde von den Eltern Carl-Gustaf Lindstedts erbaut«, berichtete Märta und sah stolz aus.
»Wenn du weißt, wer das war. Aber dafür bist du vielleicht noch zu jung.« Sie runzelte die buschigen grauen Augenbrauen und blinzelte ihn an. »Einer der größten Schauspieler unserer Zeit. Ich werde seine Rolle
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