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Der Schatten im Wasser

Der Schatten im Wasser

Titel: Der Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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du, vollkommen hysterisch. Du hättest ihn sehen müssen. Und ich hatte auch Angst. Er hat mich mit seiner Angst angesteckt.«
    Sie begann erneut zu zittern.
    »Justine«, beschwichtigte er sie, jedoch ohne sie zu berühren.
    Er holte einen Becher mit Wasser, den er dem Vogel hinhielt. Das Tier fauchte matt, doch nach einer Weile tauchte er seinen Schnabel hinein und trank glucksend. Hans Peter seufzte.
    »Wir können ihn nicht hier behalten.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Es wird schon gehen.«
    »Aber die Gäste! Sie drehen durch, wenn ein großer wilder Vogel hier umherfliegt. Er wird sie erschrecken, und das Hotel wird einen schlechten Ruf bekommen, denk doch nur an die Sache mit dem Virus … die Vogelgrippe, es gibt Menschen, die daran sterben.«
    »In Vietnam vielleicht. Aber nicht hier.«
    Sie setzte sich auf die Pritsche hinter dem Tresen, dieselbe, auf der sie schon mehrfach neben Hans Peter gelegen und mit ihrem Rücken an seiner Brust geschlafen hatte. Behutsam wickelte sie das Halstuch ab. Der Stoff war mit Blut und Exkrementen beschmutzt. Der Vogel schüttelte sich und fiel dabei fast um. Er machte ein paar wackelige Schritte über die Wolldecke, flog jedoch nicht. Eine abgebrochene Feder segelte zu Boden. Vorsichtig berührte sie die struppigen Flügel.
    »Er wagt nicht zu fliegen, weil es ihm wehtut.«
    »Justine«, ermahnte er sie.
    Sie wandte ihm ihr Gesicht zu, plötzlich waren ihre Augen mit Tränen gefüllt.
    »Okay«, sagte er schnell. »Wir kriegen das schon hin. Er darf sich hier hinten aufhalten. Aber wir müssen den Vorhang zuziehen.«
    »Danke.«
    Er ging auf sie zu und sank neben ihr auf die Pritsche.
    »Hans Peter«, murmelte sie undeutlich. »Du bist so nett, ich liebe dich.«
    »Und was war es, das zu Hause passiert ist?«
    »Jemand war im Garten.«
    »Ein Reh vielleicht.«
    »Nein.«
    »Hast du jemanden gesehen?«
    Sie nickte.
    »Und wen?«
    »Ich weiß es nicht … aber ich habe Angst bekommen.«
    Sein Arm um ihre Schultern.
    »Ich werde dir etwas Heißes zu trinken machen. Einen Tee. Ist das okay?«
    Er war wieder so wie immer. Sie lehnte sich in die Kissen zurück und zog die Decke über sich. Sah ihn Wasser in die Teekanne füllen.
    »Du«, flüsterte sie.
    Er stand mit dem Rücken zu ihr gewandt.
    »Bist du böse, weil wir gekommen sind?«
    Er antwortete nicht. Und sie verzichtete darauf, ihre Frage zu wiederholen.

UM SIE HERUM WAR ES DUNKEL. Mühsam kam sie auf die Knie und tastete nach dem Lichtschalter. Nein. Jetzt erinnerte sie sich. Tommy hatte die Glühbirne herausgeschraubt. Das war das Letzte, was er getan hatte, bevor er die Tür zum Abstellraum geschlossen hatte. Ihre Fingernägel schabten an der glatten Wand entlang, glitten über den Türrahmen und rutschten ab. Erreichten den Türgriff und drückten ihn herunter. Abgeschlossen.
    Er war unmittelbar danach weggefahren. Sie hatte das Auto starten und es bislang noch nicht wieder zurückkommen hören. Christa, schoss es ihr durch den Kopf. Die ganze Zeit hatte sie sich bemüht, keinen Laut von sich zu geben, geschweige denn zu schreien, um das Mädchen nicht zu beunruhigen. Aber wahrscheinlich begriff sie es sowieso. Denn sie besaß ein erstaunliches Vermögen, Stimmungen zu erfassen.
    Ariadne hatte gespült und die Küche aufgeräumt. Dabei war ihr aus Versehen ein Trinkglas direkt auf den gefliesten Küchenboden gefallen. Es klirrte extrem laut. Sie kroch gerade auf dem Boden herum und suchte nach Scherben, als Christa zu ihr kam.
    »Pass auf, nicht herumlaufen, nicht hier, du kannst dich an den Scherben schneiden.«
    »Was machst du, Mama?«
    »Komm nicht hierher. Geh in dein Zimmer und warte so lange.«
    Doch es war bereits zu spät. Das Mädchen schrie auf. Sie stand auf den Steinfliesen und balancierte auf einem Bein, während sich auf dem Boden ein Blutfleck abzeichnete.
    »Willst du ihr noch mehr zusetzen! Meinst du nicht, dass es langsam reicht?«
    Tommys beschuhter Fuß, er traf sie direkt am Steißbein. Sie prallte gegen den Herd und fiel auf die Seite. Der Schmerz ließ sie das Gesicht verziehen. Aber sie sagte nichts, gab keinen Laut von sich.
    Sie sammelte die letzten größeren Glasscherben vom Fußboden und holte dann den Staubsauger. Er hatte das Mädchen ins Badezimmer gebracht und reinigte ihre Wunde. Sie weinte laut und schniefte vor sich hin. Auch sie schrie er an:
    »Verdammt noch mal, halt die Klappe!«
    Heute war wieder ein solcher Tag. Ein solcher Abend. Sie kannte bereits die ganzen

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