Der Schatten im Wasser
Schimpftiraden, es waren jedes Mal dieselben. Wochenlang konnte er herumlaufen und alles in sich aufstauen, während er äußerlich ruhig und normal erschien, bis dann schließlich auf einmal eine Explosion erfolgte. Es war wie eine Krankheit, die ihn befiel, eine Eiterbeule, die irgendwann platzte.
Es hatte schon am Abendbrottisch angefangen. Christa kleckerte, und ein paar Erbsen rollten auf ihren Schoß. Sie stocherte mit ihrer Gabel im Essen, schmollte und rührte alles durcheinander. Tommys Kiefer spannte sich an.
»So hilf ihr doch! Siehst du denn nicht, dass sie nichts auf die verdammte Gabel bekommt? Kannst du dir nicht etwas Einfacheres als ausgerechnet Erbsen ausdenken?«
Ariadne stand auf und holte einen Löffel. Legte Christa den Griff in die Hand und führte sie zum Teller.
»Hier, nimm den Löffel, das geht besser.«
In dem Moment schlug er mit der Faust auf den Tisch, sodass die Teller vibrierten.
»Tischmanieren!«, schrie er.
Ihre Arme sanken auf ihren Schoß herab.
»Sie ist sechzehn Jahre alt und isst wie ein Kleinkind. Wie soll sie sich jemals in Gesellschaft benehmen können?«
Das Problem war, dass sie sich auf eine Diskussion einließ. Sie hätte eigentlich längst wissen müssen, dass ihre Einwände die Situation nur verschlimmerten.
»Es ist eben nicht so leicht mit Erbsen«, murmelte sie. »Sie kann doch nichts dafür, dass sie so klein sind.«
»Und warum kochst du dann überhaupt Erbsen? Warum kannst du dir nicht etwas anderes ausdenken, wenn du schon Ewigkeiten damit verbringst, einkaufen zu gehen.«
Sie saß steif und schwer auf ihrem Stuhl. Wagte nicht, sich zu bewegen, die Position zu ändern.
»Schau sie dir doch an!«, befahl er. »Schau, wie sie aussieht. Den Mund voller Sabber wie ein Schwein und Soße und Kartoffeln in die Haare geschmiert. Ein sechzehnjähriges Mädchen ist normalerweise das Schönste, was die Natur geschaffen hat. Wie eine aufgehende Blüte, zart und reizend anzusehen. Findest du, dass es so ist? Bist du stolz, Ariadne? Bist du zufrieden mit dem, was du zustande gebracht hast? Und du, Christa. Du weißt vielleicht nicht, dass es die Schuld deiner lieben Mutter ist, dass du nicht sehen kannst! Weißt du das? Antworte! Weißt du das?«
Christas Hände tasteten den Tisch ab, fanden das Glas und ergriffen es. Doch er war schneller. Denn sie hatte es schon früher getan. Es so fest umschlossen, dass Milch und Blut zwischen ihren Fingern hindurchrannen. Mit einem Ruck riss er es ihr aus der Hand und stellte es hinter sich auf die Fensterbank.
»Jetzt wird gegessen!«
Die erste Zeit der Schwangerschaft hatte sie regelrecht überwältigt. Dass es so beschwerlich werden würde! Aber woher sollte sie es auch wissen? Sie hatte keine Freunde, keinen Kontakt zu Gleichaltrigen in ihrem neuen Heimatland. Und ihrer Mutter wollte sie es noch nicht erzählen. Dafür war es zu früh, es konnte noch so vieles schief gehen.
Tommy war zärtlich und sehr geduldig. Er brachte ihr morgens einen Teller mit geröstetem Toast und eine Kanne Tee, die er auf ihren Nachttisch stellte.
»Das geht vorbei«, beruhigte er sie. »Oft ist es morgens am schlimmsten, aber das geht vorbei.«
Er lachte und strich ihr über die Wange. Er hatte mehrere Schwestern, die bereits Kinder bekommen hatten.
Sie lag lang ausgestreckt und ohne Kissen da. Bewegte sie sich auch nur minimal, musste sie sich sofort erbrechen. Der Geruch des Toasts zog ihr direkt in die Nase. Sie wollte ihn bitten, den Teller wegzunehmen, vermochte es aber nicht. Er war so nett und fürsorglich, dass sie ihn nicht verletzen, ihm nicht das Gefühl von Unzulänglichkeit vermitteln wollte. Denn auch das brachte dieser Zustand mit sich, eine Neigung zum Weinen sowie eine übertriebene Sentimentalität.
»Das geht vorüber«, bestätigte ihr auch der Arzt, den sie aufsuchte. »Verstehen Sie, was ich sage?« Er sprach langsam und deutlich, und wo Erklärungen nicht ausreichten, griff er zu Papier und Stift. Er nahm sich wirklich Zeit.
»Ich habe Ihr Heimatland schon oft besucht«, vertraute er ihr an. »Und ich habe vor, mir auf einer der Inseln ein Haus zu kaufen. Ein weißes kleines Häuschen mit sonnenwarmen Wänden. Ich habe es bereits ausgesucht.«
Er zog eine Schublade auf und zeigte ihr das Foto. Es handelte sich um eine andere Insel als ihre, aber sie trug einen ähnlichen Namen. Sie wandte ihren Kopf ab und weinte. Er sagte erneut, dass es bald besser werden würde.
»Es ist ganz normal, dass man morgens
Weitere Kostenlose Bücher