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Der Schatten im Wasser

Der Schatten im Wasser

Titel: Der Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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Schultern heraus. Er besaß keine Arme. Seine Mutter hatte während der Schwangerschaft Medikamente geschluckt. Glaubst du, dass er ein glückliches Leben geführt hat?«
    »Das wusste ich nicht«, murmelte sie. »Ich werde sie sofort in den Müll werfen.«
    »Wie lange hast du sie schon genommen?«
    »Na ja, seitdem es mir wieder gut geht.«
    »Und wie lange ist das her? Schon mehrere Wochen, oder?«
    »Ja«, entgegnete sie panisch. »Mehrere Wochen.«
     
    Es war eng auf dem Fußboden in der kleinen Abstellkammer. Sie fand kaum Platz zum Sitzen. Sie versuchte, die Beine anzuziehen und sich gegen die Heizung zu lehnen, doch aufgrund ihrer Körperfülle schmerzte es im ganzen Körper. Meistens schlug er mit der Handkante und zudem auf Stellen, die man nicht sah. Es geschah nur selten, dass etwas schief lief. Wie zum Beispiel gestern Abend, als sie sich so unglücklich entzogen hatte, dass gleich mehrere seiner Schläge ihr Gesicht trafen. Er war sehr wütend gewesen. So wütend, dass er bis jetzt noch nicht die Kraft aufgebracht hatte, es zu bereuen.
    Sie hatte in der Dunkelheit gesessen und versucht, die Tränen zurückzuhalten. Christa sollte es auf keinen Fall mitbekommen, niemals hören, wie ihre Mutter dem Weinen und der Verzweiflung nachgab. Das Mädchen zog sich für gewöhnlich sowieso in sein Zimmer zurück. Nur ein einziges Mal hatte sie gefragt:
    »Mama, warum hast du die Tabletten geschluckt?«
    Ihr Gesichtsausdruck war schutzlos und leer gewesen. Sie stand dort und hielt etwas in der Hand, ja genau, ihr Haarband, sie hatte es von ihrem Pferdeschwanz gezogen, sodass ihr Haar wie eine dichte Mähne nach vorne fiel. Ariadne wollte gerade zu einer Antwort ansetzen. Doch das Mädchen fuhr fort.
    »Stimmt das, was Papa sagt? Dass ich sonst … hätte sehen können?«
    »Nein«, flüsterte sie.
    »Aber wenn er es doch sagt.«
    »Papa ist traurig. Und Trauer kann sich ganz unterschiedlich zeigen. Manchmal es ist schwer zu begreifen. Aber Papa, er wünscht sich so sehr, dass du dein Augenlicht hättest. Deswegen verhält er sich so.«
    Das Mädchen warf den Kopf zurück, und ihre dunkle Haarpracht schwang nach hinten. Ihre Wimpern waren ebenfalls dunkel und wie ein dichter Fächer geformt. Darunter glitzerte das Weiße ihrer Augen.
    Ariadne griff nach ihrer Hand und hielt sie fest.
    »Und ich bin auch traurig«, begann sie heiser. »Mama ist auch furchtbar traurig. Aber eins musst du wissen, was immer Papa auch denkt, es hat nichts mit den Tabletten zu tun.«
    Er hatte natürlich alle Hebel in Bewegung gesetzt. Kontakt mit dem Arzneimittelhersteller aufgenommen und ihm mit einem Prozess und der Presse gedroht. Die Antworten, die er erhalten hatte, liefen jedoch darauf hinaus, dass kein unmittelbarer Zusammenhang mit dem betreffenden Medikament und einer Schädigung des Embryos nachgewiesen werden konnte. Aber er weigerte sich, das anzunehmen.

IN DEM MOMENT, ALS TOMMY in den Kreisverkehr am Brommaplan einbog, fiel es ihm ein. Sie mussten den See absuchen. Er hatte alles durchgelesen, was in der Akte Berit Assarsson bezüglich ihres Verschwindens dokumentiert war, aber, verdammt noch mal, kein Wort über den See gefunden. Wie konnte man nur eine Maßnahme wie diese vergessen! Er war manchmal recht nachlässig gewesen, der gute Nästman, vermutlich hatte es mit seiner Krankheit zu tun.
    Sie hatten sich während Nästmans Zeit bei der schwedischen Reichskriminalpolizei kennen gelernt, als Tommy neu dort war. Die sympathische Art des älteren Kollegen hatte ihm gefallen, er konnte zuhören und benutzte nicht diesen überheblichen Jargon gegenüber denen, die neu waren. Ab und zu aßen sie zusammen zu Mittag. Nästman war damals bereits von seiner Krankheit gezeichnet, doch keiner wusste, dass sein Zustand so ernst war. Er berichtete ihm einiges über Justine Dalvik und wollte Tommys Einschätzung dazu wissen. Das hatte ihn erstaunt und froh gestimmt.
    Während Nästmans letzten Wochen besuchte Tommy ihn oft in der Stockholmer Privatklinik, in der er behandelt wurde. Er lag in einem großen und zugegebenermaßen recht gemütlich eingerichteten Zimmer, und auf seinem Nachttisch standen Fotos von seinen Söhnen mit ihren Frauen oder Lebensgefährtinnen. An der Wand hing ein Bild mit einem Strichmännchen mit langen dünnen Beinen. Für Opa stand mit Erwachsenenschrift darunter geschrieben. Werde bald gesund, damit du wieder mit mir spielen kannst. Umarmungen und Küsse von Malin. Tommy hatte dort gesessen und das Bild

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