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Der Schatten im Wasser

Der Schatten im Wasser

Titel: Der Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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offensichtlich Schwierigkeiten, ein paar Minuten warten zu müssen.
     
    Als der Lotse auf der Maveric funkte und mitteilte, dass er sich jetzt bei Sällskapsholm befand, öffnete Fred die Mälarbrücke und ging dann gemeinsam mit Nisse hinunter zum Kai. Auf dem Monitor sah Jill, wie der Frachter zwischen den Brückenpfeilern hindurchfuhr und kurz darauf auf dem Kanal herangeglitten kam, still und weiß, wie ein Geisterschiff. Der Bug spiegelte sich im Wasser. Langsam, ganz langsam glitt es in die Schleuse, um nirgends anzustoßen, denn hier zwischen den Schleusentoren ging es um Zentimeter. Sie stand am Fenster und beobachtete ihre Kollegen, wie sie gestikulierten und in ihre VHF-Funkgeräte sprachen. Der Lotse benötigte Hilfe, um zu erkennen, wann das Schiff vollständig drinnen war.
    In diesem Augenblick klingelte ihr Handy. Sie hatte sich Du hast von Rammstein als Klingelton zugelegt und musste daran denken, wie Tor sie damit aufgezogen hatte: »Rammstein, also du bist doch wahrlich kein Teenager mehr.« Sie hatte sich nicht angegriffen gefühlt, es eher wie ein scherzhaftes Necken aufgenommen. Etwas, das er wirklich nötig hatte, und sie übrigens auch. Während ihrer gesamten Reise hatte sie darauf gewartet, dass irgendjemand anrief. Das geschah auch, doch nur einmal, nämlich als sie gerade in Troms0 aus dem Flugzeug stiegen. Es war die norwegische Telefongesellschaft Telenor, die ihr eine SMS schickte und sie willkommen hieß. Den Rest der Zeit blieb das Handy stumm.
    Endlich bekam sie das Mobiltelefon in ihrer Handtasche zu fassen.
    »Jill Kylén«, meldete sie sich laut und deutlich und aus einem Impuls heraus mit ihrer Dienststimme.
    »Störe ich?« Es war Tor. Sie begann vor Freude zu zittern.
    »Nein, keineswegs, zumindest einen Moment lang kann ich reden. Es ist nur gerade einiges los hier. Wie geht’s dir? Hast du dich von allem erholt?«
    Seine Stimme klang belegt und angestrengt.
    »Es war so furchtbar … verstehst du, ich habe geträumt.«
    »Du hast geträumt?«
    »Ja. Ich hatte gerade geschlafen. Aber dann bin ich abrupt aufgewacht.«
    »Aha, und?«
    »Ich stand an einem Strand, und ein Stück weiter draußen im Wasser sah ich etwas an der Oberfläche treiben.«
    Er verstummte.
    »Ja?«, fragte sie zögerlich. »Und was passierte dann?«
    »Mir war klar, dass ich ins Wasser musste, es war notwendig, ich musste sehen, was es war, wer es war …«
    »Ein Mensch also?«
    »Ja«, antwortete er tonlos. »Ein Mensch.«
    Sie wartete.
    »Es war, als versanken meine Füße im Sand, er drang in meine Schuhe und füllte sie und fesselte mich regelrecht. Ich hab versucht, die Beine anzuheben, meine Oberschenkelmuskeln fühlen sich immer noch ganz angespannt an. Also in der Realität. Verstehst du, Jill?« Er hob die Stimme: »Ich habe solche Schmerzen in den Oberschenkelmuskeln, als sei es tatsächlich passiert.«
    Sie schluckte.
    »Du musst dich verspannt haben«, entgegnete sie schnell. »Musst im Schlaf irgendwie falsch gelegen haben.«
    »Vielleicht.«
    »So etwas passiert, es kann tatsächlich vorkommen, wie eine Art Krampf.«
    »Ich weiß nicht.«
    »Und dann?«
    Er räusperte sich und begann zu husten, dieser trockene unangenehme Raucherhusten, der immer nach dem Aufwachen auftrat. Sie wartete ab. Er keuchte und bekam seine Stimme schließlich wieder unter Kontrolle.
    »Plötzlich hörte ich ein Geräusch hinter mir«, fuhr er mit belegter Stimme fort, »und als ich mich umdrehte, stand sie dort, sie eben, du weißt schon, sie.«
    Das Telefon auf Jills Schreibtisch klingelte. Sie atmete tief durch, hatte das Gefühl, nicht genügend Luft zu bekommen.
    »Und wer? Wen meinst du?«
    »Diese Frau, Justine Dalvik.«
    Sechs Signale, sieben.
    »Tor, ich muss …«
    »Ich verstehe.«
    »Ich ruf dich zurück, bist du zu Hause?«
    »Verzeih mir, Jill. Ich hätte dich nicht stören sollen.«
    »Ist schon okay, ich ruf zurück«, wiederholte sie, aber er hatte bereits aufgelegt.
    »Verdammt«, fluchte sie und hob den Hörer des Diensttelefons ab. Es war zu spät.
    Im selben Moment funkte sie der Lotse der Odin an:
    »Wir haben vor fünf Minuten Fläsklösa passiert.«
    »Verstanden, Odin« ,funkte sie zurück, während sie damit beschäftigt war, die beiden Nummern von Tor in ihr elektronisches Telefonbuch einzugeben.
     
    Erst anderthalb Stunden später fand sie Zeit, ihn zurückzurufen. Doch er ging nicht dran, war hoffentlich wieder eingeschlafen. Sie traute sich nicht, es noch einmal zu probieren, da sie

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