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Der Schatten im Wasser

Der Schatten im Wasser

Titel: Der Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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hoch, dort warten wir dann mit dem Auto. Die Kungstensgata nach links, du weißt schon. Da findet man in der Regel einen Parkplatz.«
    Ein eisiger Schauer entlang ihres Rückgrats.
    »Wie nett von dir, Tommy. Danke.«
     
    Ein einziges Mal hatte ihre Mutter mit ihr über ihn gesprochen. Sie direkt gefragt.
    »Ich mache mir Sorgen um dich, kleine Raupe. Bist du sicher, dass du es auch gut hast?«
    Was antwortet man einer Mutter aus einem fernen Land?
    »Das Haus ist so schön, und er ist so tüchtig.«
    Die knochigen Finger zupften an der Tischdecke.
    »Ich weiß, dass das Haus schön ist. Es hat viele Zimmer und große Fenster, und ich werde es den anderen zu Hause auch berichten. Sie werden neidisch sein. Aber hast du es auch gut? Hier drinnen?«
    Sie machte eine Geste in Richtung ihres Herzens. Ihr Haar war inzwischen weiß, und die Kopfhaut darunter schimmerte hindurch.
    Ariadne rang sich ein Lächeln ab.
    »Hier drinnen hab ich es gut. Beunruhige dich nicht, Mama. Hier drinnen hab ich es wirklich gut.«
    Ihre Mutter hatte nie einen engen Kontakt zu ihrer Enkelin aufbauen können. Christa war angespannt und reserviert, weil sie nicht verstand, was ihre Oma sagte. Außerdem war die Zeit zu kurz. Anfänglich hatten sie geplant, dass ihre Mutter mehrere Wochen bleiben sollte, doch daraus wurde nichts. Nach ein paar Tagen schon bat sie Tommy, ihr Flugticket auf einen früheren Flug umzubuchen. Und so war es jedes Mal.
    »Aber warum denn, Mama?«
    »Verstehst du denn nicht, dass ich es spüre? Mein Aufenthalt bei euch schafft eine gewisse Unruhe. Er bringt euer Gleichgewicht durcheinander.«
    Nichts konnte sie dazu bewegen, ihre Entscheidung rückgängig zu machen.
     
    Christa kam in ihrem Pyjama ins Zimmer. Er war aus einem Stoff mit irgendeinem kindlichen Motiv. Aber was spielte das schon für eine Rolle?
    Sie blieb mit gerunzelter Stirn stehen.
    »Mama?«
    »Guten Morgen, Christa.« Ariadne bemühte sich, nicht zu nuscheln.
    »Was machst du heute?«
    »Deine Mama geht arbeiten.« Tommy kam in die Diele und entband sie davon, noch mehr sagen zu müssen.
    »Komm, es gibt Frühstück. Und dann ziehst du dich an, damit wir beide mit der Fähre fahren können.«
    »Mit der Fähre fahren?«
    »Papa und du. Wir werden uns schon was Nettes einfallen lassen.«
    Sie setzten sie im Zentrum von Ekerö ab, wo der Bus unmittelbar kam. Es war ein grauer, kalter Tag, und es lag Regen in der Luft. Als sie sich setzte, nahm sie ihre Sonnenbrille heraus.

JUSTINE ERWACHTE DAVON, dass der Vogel sie in die Nase pickte. Sie lag auf der Seite, und die warmen Krallen des Vogels drückten gegen ihren Oberarm. Sie erinnerte sich, wo sie war, und setzte sich auf. Auf der runden Uhr an der Wand war es fünf Minuten nach halb sieben. Sie hatte nicht gerade viele Stunden geschlafen, fühlte sich erstaunlicherweise aber ausgeruht. Hinter der Tür zum Portiertresen hörte sie Hans Peter mit einem weiblichen Gast sprechen. Münzen klingelten, und sie hörte, wie ein Geldstück zu Boden fiel und wegrollte. Hans Peter und die Frau lachten. Durch die Türöffnung duftete es nach Kaffee.
    Es war erneut geschehen, dass die Angst sie übermannt hatte, sowohl den Vogel als auch sie selbst. Das dritte Mal innerhalb von ein paar Wochen. Sie traute sich nicht mehr, allein im Haus zu bleiben. Zum wiederholten Mal hatte sie den Vogel genommen und war mit ihm ins Hotel gefahren. Sie war sich nicht sicher, ob Hans Peter es so gut fand.
    Der Vogel hüpfte auf ihr Handgelenk herunter. Er liebte es, dort zu hocken, genau an der Stelle, wo der Daumen ansetzte. Er war schwer. Sie strich ihm über die Federn, woraufhin er sich aufplusterte und seinen Kopf an ihren Fingerknöcheln rieb. Vorsichtig entfächerte sie seine Flügel, einen nach dem anderen, und begutachtete sie. Sie wiesen einige Schorfstellen auf, die von seinen früheren Versuchen stammten, dem Schrecken zu entgehen, doch die Wunden schienen gut zu heilen, jedenfalls schien keine infiziert zu sein. Sie hielt ihm den Becher mit Wasser hin, und er trank in schnellen kleinen Schlucken.
    Ein Fenster gab es in dieser kleinen Schlafnische nicht, doch als sie genauer horchte, meinte sie, das Plätschern von Regen auf dem Straßenbelag zu hören. In Hans Peters Kissen befand sich noch der Abdruck von seinem Kopf. Sie bohrte ihr Gesicht in die Mulde und verharrte eine Weile so, bevor sie nach den Ecken griff und beide Kissen aufschüttelte. Sie kämmte sich vor dem winzigen Spiegel und strich ihre Kleider glatt.

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