Der Schatten im Wasser
Haut einen Knoten zu entdecken, ein festes kleines Knötchen, das dort nicht hingehörte. Jeden Abend pflegte er deshalb sämtliche Weichteile seines Körpers abzutasten, und ein paar Mal hatte er auch schon Knoten gefunden, die er wegoperieren ließ, obwohl es sich laut ärztlicher Diagnose um gewöhnliche Fettknötchen handelte. Benigne, gutartige. Aber man konnte ja nie wissen, ob sie nicht eines Tages bösartig wurden. Oder? Bei einem Onkel von ihm hatten die Ärzte einen Tumor im Bein entdeckt, woraufhin das gesamte Bein amputiert werden musste. Doch auch das half nichts. Langsam breitete sich der Krebs nahezu im gesamten Körper aus, und er starb unter Qualen. Zwar hatte keiner behauptet, dass diese Krankheit erblich war. Aber woher sollte man die Garantie dafür nehmen?
Er fuhr an dem Wallenbergschen Grabhügel mit seinen Zypressen vorbei, die wie düstere Leibwächter entlang des Weges zu den Gräbern hinauf standen. Er wurde oft von Gedanken an den Tod oder die Endlichkeit des Lebens geplagt. Doch niemand merkte es ihm an, bei seinen Kollegen war er als lebenslustige und unerschrockene Person bekannt, allerdings auch als stur wie ein Bock.
Nästman hatte sich natürlich nicht allein mit dem Fall Dalvik/Assarsson beschäftigt. Und dennoch schien es, als hätte keiner so viel Kraft und Energie in ihn investiert, wie nötig gewesen wäre. Aus purer Neugier war Tommy in seiner Freizeit nach Hässelby rausgefahren und hatte sich umgeschaut. Das Dalviksche Haus war hoch und schmal, ein Steinhaus mit Seegrundstück. So gut wie einsichtgeschützt. Übrigens verwunderlich, dass ein so bedeutender Industriemagnat, wie man ihren Vater wohl nennen durfte, eine für seine Verhältnisse recht bescheidene Wohnsituation gewählt hatte. Sicherlich, das Haus lag direkt am See, doch es war an sich recht gewöhnlich. Abgelegen, wie gesagt, sodass im Prinzip alles Mögliche dort im Garten stattgefunden haben könnte. Obwohl man bedenken musste, dass Assarsson im Winter verschwunden war. Hatte Dalvik sie tatsächlich getötet, so hätte sie ihre Leiche kaum vergraben können. Jedenfalls nicht dort und nicht sofort.
Was hätte sie also sonst tun können? Darüber hatte er in der letzten Zeit des Öfteren gegrübelt. Die Leiche zerstückeln und einfrieren? Nein. Ihr Gefrierschrank war nicht groß genug, das hatten Nästman und seine Kollegen überprüft.
Sich der Leiche anderweitig entledigen? Sie in den Kofferraum ihres Autos verfrachten und an einer geeigneten Stelle entsorgen? Das war sicher Schwerstarbeit, aber wenn man genügend unter Druck stand, warum nicht.
Nein. Innerhalb von sechs Jahren hätte sie jemand finden müssen. Irgendein Spaziergänger mit seinem Hund.
Er musste an Lövsta denken, die Müllhalde außerhalb von Hässelby mit ihren riesigen Schlackebergen und den vielen Containern. Ein ausgezeichneter Ort für eine Endlagerung. Aber selbst dort wäre eine Zerteilung des toten Körpers vonnöten gewesen. Und eine Leiche zu zerstückeln war eine hohe Kunst, die nur wenige beherrschten. Hätte eine Frau es ausführen können? Tommy war Justine Dalvik noch nie begegnet, es hatte keine besondere Veranlassung gegeben. Er wusste also nichts über ihre Größe, ihre Kraft, ihre Psyche. Doch er würde es herausfinden. Und er hatte Zeit. Die Verjährungsfrist für Mord betrug 25 Jahre.
Der Mälarsee mit seinem dunklen Wasser. Auf seinem Grund befand sich wahrscheinlich mehr als eine Leiche, die vor sich hindümpelte. Er würde unverzüglich Malmgren, den Leiter der Voruntersuchungen, aufsuchen und ein Durchkämmen des Sees vorschlagen. Möglicherweise würde irgendjemand einwenden, dass Assarsson nach all den Jahren längst an die Oberfläche hätte gespült werden oder sich in einem Anker oder einer Boje hätte verfangen müssen. Und natürlich würde man auf fehlende Ressourcen hinweisen. Nein, er würde einen geeigneten Zeitpunkt abwarten müssen. Doch sobald der kam, sobald er die Genehmigung hatte, würde er sich ernstlich des Falles annehmen.
Er fuhr in den Carport vor seinem Haus und parkte das Auto. Alles dunkel und still hinter den Fenstern. Mit einem Gähnen stieg er aus und schloss den Wagen ab. Streckte sich und sog die kühle Nachtluft tief ein. Gut, dass nicht länger diese Hitze herrschte. Der Himmel war nicht sehr dunkel, und ab und zu gaben die Wolken den Mond frei. Vielleicht würde es Regen geben. Vor ihm breitete sich das Feld mit seinen Reihen von Büschen aus, die ihm wie kauernde
Weitere Kostenlose Bücher