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Der Schatten im Wasser

Der Schatten im Wasser

Titel: Der Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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ihn nicht wecken wollte. Wenn er nun schon einmal schlief. Nach zwei Uhr wurde es ruhig. Sie legte sich für eine Weile auf das Sofa im Frühstücksraum und hüllte sich in ihre Jacke ein. Ihr war ein wenig übel, und sie fror.
    Gegen fünf Uhr wurde es hell. Sie saß in einem Stuhl am Fenster, die Beine vor sich auf den Tisch gelegt. Die Klimaanlage rauschte. Nisse stand auf und blickte in Richtung der Spazierwege entlang des Kanals.
    »Jetzt kommen die Dosensammler«, stellte er fest. Sie sahen beide, wie ein älterer Mann mit mehreren Plastiktüten in der Hand in den Papierkörben wühlte.
    »Möchte jemand einen Kaffee?«, fragte Fred.
    »Ja, gerne, wenn du ihn holst.«
    Sie trat auf den kleinen Balkon hinaus und atmete die frische Morgenluft ein. In dem Augenblick wurde es ihr sonnenklar.
    Justine, dachte sie. Sie wusste jetzt, was sie zu tun hatte, sowohl Tor als auch sich selbst zuliebe. Sie musste sie aufsuchen.

DANACH ERFOLGTE DIE VERSÖHNUNG. Auch sie lief nach einem gewissen Schema ab. Aber dieses Mal hatte er Schwierigkeiten, sie zu wecken. Es war nicht so, dass sie schlief, nein, an schlafen war in so einem vollgestopften und sauerstoffarmen Kabuff wie dem engen Abstellraum nicht zu denken. Es handelte sich eher um eine Art Bewusstlosigkeit, in der sie jedoch unterschwellig seine zunehmende Unruhe spüren konnte. Sie befand sich in einem Dämmerschlaf, der durch die Schmerzen in Muskeln und Gelenken und dadurch, dass sie so lange zusammengepfercht, in einer unnatürlichen Stellung hocken musste, hervorgerufen wurde. Alles Blut war in die Füße hinuntergepresst worden, sodass andere Bereiche ihres Körpers taub geworden waren. Er tastete nach ihrem Kinn und versuchte, sie wieder zu Bewusstsein zu bringen, drehte ihren Kopf nach links und nach rechts.
    Irgendwie hatte sich sein Geruch verändert, ein chemischer Geruch nach Angst mischte sich mit dem kalten Schweiß, der nun über seine Handflächen rann. Sie erkannte ihn vom letzten und vorletzten Mal wieder, als er sie besonders hart geschlagen hatte.
    Jedoch nicht so hart wie heute Abend.
     
    Diese Gedanken gingen ihr in der übervollen Abstellkammer durch den Kopf, zwischen all den Gegenständen, die ihnen gehörten, für die sie aber keinen Platz hatten und die sie deshalb in diesen kleinen Raum verfrachteten, denn das Haus besaß weder einen Keller noch einen Dachboden. Kisten mit Weihnachtsschmuck, überzählige Tische und Stühle, Winterstiefel, ein alter Computer und das auseinandergebaute Kinderbett, in dem Christa als Baby geschlafen hatte.
    Ein pochender Schmerz in ihren Kieferknochen, sie horchte nach Geräuschen, nach dem des Autos, tastete mit der Zungenspitze, bis ihr plötzlich etwas Hartes in die Hand fiel. Ein Zahn.
    Da weinte sie zum ersten Mal an diesem Abend. Danach wurde sie ohnmächtig.
     
    Er trug sie zum Bett, doch er war nicht länger der Starke, seine Muskeln halten an Kraft verloren, und er musste mehrere Pausen einlegen. Ließ sie schließlich auf die Matratze sinken und breitete ihre Arme und Beine aus.
    »Ariadne, so antworte doch!«
    In dieser Phase war sie die Stärkere, aber das wusste er nicht, nur sie. Doch sie empfand weder Genugtuung noch Triumph.
    »Möchtest du trinken, soll ich dir etwas holen, bist du durstig?«
    Ihr Mund war und blieb verschlossen, während seine Hände auf ihrem Körper entlangfuhren. Planlos zwischen Kleiderfalten und Knopflöchern umhertasteten, entlangstrichen und aufknöpften. Er verzichtete darauf, das Licht anzumachen, das wusste sie, so war es jedes Mal, denn er konnte es nicht aushalten, die vielen blauen Flecken und Schwellungen auf ihrem Körper sehen zu müssen, die nicht er verursacht haben konnte, nicht ein liebender Ehemann wie er.
    Die Matratze fühlte sich erstaunlich weich an. Er zog ihr den Pullover und den BH aus, die Unterhose ließ er ihr an. Hüllte sie in das Laken, ja, es war ein Einhüllen … falls sie tatsächlich nicht mehr aufwachen würde. Falls dieser Tag kommen sollte. Die Gewalt gegen sie hatte sich hochgeschaukelt, von anfänglichem leichterem Ziehen an ihren Haaren über Ohrfeigen bis hin zu ausgemacht schwerer Misshandlung. Wie sollte er es nur den Ärzten und den Kollegen von der Polizei erklären? Ach, er würde sich bestimmt mit einer Lüge aus der Affäre ziehen können. Dass sie zum Beispiel von einem Psychopathen überfallen worden war, und er sie blutend auf der Treppe gefunden hatte. Würden sie ihm glauben? Würden sie sie aufschneiden und nach

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