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Der Schatten von nebenan - Roman

Der Schatten von nebenan - Roman

Titel: Der Schatten von nebenan - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Saur
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die Menschen, die ihr Leben vorführen. Und ich musste an die Falten in den Winkeln meines eigenen Mundes denken, und ich dachte, dass sie mir eine Geschichte verliehen. Ich musste auch an diese grünen Karten denken, die Palmer einmal erwähnt hatte, diese Karten, die nie zerfallen, mit den Namen der Opfer darauf, die er in seinem Büro aufbewahrte. Ich fragte mich, ob diese Karten mit der Hand geschrieben waren. Ich stellte mir Palmers Handschrift vor, eigenartig elegant, hastig, ein wenig wie er, immer in Eile, alle diese grünen Karten, die ihn verfolgten, die vielleicht der Grund für das Zucken seines Auges waren. Und eine dieser Karten verließ den Schrank nun im Austausch für meine Freiheit.
    »Glotz nicht so«, kläffte mich da einer der Polizisten an.
    »Ist schon gut«, sagte Palmer, mehr zu mir als zu dem Polizisten.
    Er erklärte mir dann, dass ich einen Ausweis mitbringen müsse. Da ich schon in Handschellen war, sagte ich ihm, dass mein Portemonnaie auf dem Tisch im Flur lag. Er öffnete es und steckte meinen Führerschein in seine Jackentasche. Draußen gingen wir zusammen die Stufen hinunter. Palmer hielt mich am Arm. Einer der Polizisten öffnete die Tür des Streifenwagens. Ich sah noch einmal zum Haus der Amos’ hoch. Es stand wie eine Sommerresidenz, die von ihren Bewohnern bis zur nächsten Saison verlassen worden war. Und ich musste daran denken, wie Amos gesagt hatte, dass Künstler wie Ganoven sind. Beide wissen, dass die offizielle Wahrheit, die Wahrheit, die jeder glaubt, immer eine Lüge ist.
    Palmer folgte meinem Blick, sprach aber nicht. Der dicke Polizist nahm seine Mütze ab und öffnete die hintere Tür, was ihm den ungewollten Eindruck eines Chauffeurs verlieh. Palmer drückte sanft meine Schulter nach unten, um mir zu helfen, auf dem Rücksitz Platz zu nehmen. Er setzte sich neben mich und schloss die Tür. Da war ein Metallgitter von einer Seite des Autos zur anderen, das uns von den Vordersitzen trennte. Weder er noch ich hatten uns angeschnallt.
    »Lehnen Sie sich nach vorn«, sagte Palmer.
    Es war offensichtlich, dass ich unbequem saß, mit den Händen in den Handschellen hinter meinem Rücken.
    »So sitzen Sie besser«, sagte er, während er die Handschellen aufschloss. »Ich muss sie wieder anlegen, wenn wir ankommen.«
    Er war nicht fertig mit dem, was er sagen wollte.
    »Manchmal fliegen einem die Beweise ins Gesicht, und man kann nicht mehr ausweichen. Leider ist es nicht unsere Aufgabe, Schränke von innen zu öffnen. Wir machen sie von außen auf. Das ist unsere Aufgabe, mehr nicht.«
    Dann nickte er dem dünnen Polizisten am Steuer zu, der uns über den Rückspiegel beobachtete. Er startete das Auto, fummelte an der Automatikschaltung herum und legte dann beide Hände auf das Lenkrad. Er fuhr auf den Prospect Park zu, bog links ab und steuerte in Richtung Brooklyn Bridge. Seine kalten, blauen Augen im Rückspiegel kehrten nicht mehr zurück zu mir, als er mich aus der Nachbarschaft steuerte.

-12-
    W ir fuhren stumm am Grand Army Plaza und an meinem Lieblingsdominikaner vorbei. Ich sah den einarmigen Zeitungsverkäufer, den Laden, wo sie die afrikanischen Haarbänder herstellen, das Flatbush-Avenue-Fitness-Center im zweiten Stock über dem griechischen Fischrestaurant und den Jamaikaner, der auf einer ausgebreiteten, schmutzig-weißen Daunendecke Reggae-Platten verkauft. Der blonde Polizist fuhr schnell, aber gut. Als wir den Williamsburgh Bank Tower erreichten, schaltete er die Sirene an und gab Gas. Wir fuhren mindestens vierzig Meilen die Stunde, und ich glaube nicht, dass einer der anderen drei im Auto den Kaffeelastwagen sah, der von der rechten Seite aus der Einbahnstraße kam, als wir mit heulenden Sirenen über eine rote Ampel Ecke Flatbush und DeKalb Avenue rasten. Mein Warnruf hätte nichts geändert, so dicht war der Lastwagen schon, so schnell kam er auf uns zugeschossen, wie eine Rakete. Dies ist der Moment deines Todes, dachte ich, und fühlte mich mit dem Gedanken seltsamerweise im Reinen.
    Ich erinnere mich an einen lauten Knall und dass etwas gewaltsam auf meine Nieren schlug. Ich war von Dunkelheit umgeben. Mein Mund schmeckte salzig. Aber ich war im Kopf völlig klar. Als ich meine Augen wieder öffnete, lag ich auf dem Asphalt. Zuerst hatte ich Schwierigkeiten, mich zu erheben. Als ich es endlich fertig brachte und wackelig auf meinen zwei Beinen stand, sah ich die Brooklyn Bridge im herbstlichen Abendnebel aufsteigen. Das Auto drehte sich immer

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