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Der Schatten von nebenan - Roman

Der Schatten von nebenan - Roman

Titel: Der Schatten von nebenan - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Saur
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noch wie eine leere Flasche langsam auf dem Dach. Ich musste bewusstlos gewesen sein, aber nicht für lange, vielleicht ein oder zwei Sekunden lang. Der Kaffeelastwagen, der uns gerammt hatte, stand etwa zwanzig Meter entfernt. Vor ihm lag eine umgestürzte Mülltonne. Sein Vorderteil schwelte. Zwei vorbeifahrende Autos hielten an, das eine ein Jeep, das andere eine kastanienbraune Limousine mit einer karibischen Flagge, die in der Windschutzscheibe klebte. Eine Frau mit schwarzen Haaren lief von dem braunen Auto in meine Richtung, während ich langsam aufstand und zitternd versuchte, meinen Körper zu fühlen. Ich tat zwei Schritte vorwärts und zwei Schritte zurück. Ich schmeckte etwas Blut in meinem Mund, und als meine Zunge über meine Zähne leckte, fühlte ich, dass unten zwei Zähne fehlten.
    Die Frau hatte mich noch nicht erreicht, aber als sie sah, dass ich auf meinen Beinen stand, änderte sie die Richtung und rannte auf das Polizeiauto zu. Ich folgte ihr, noch immer unsicher auf den Beinen. Als sie anhielt und in das Innere des Polizeiautos sah, legte sie beide Hände vor den Mund. Den dicken Polizisten hatte es am schlimmsten erwischt. Der Kaffeelastwagen hatte seinen Oberkörper zu Brei zermalmt. Seine Schuhe fehlten, und er trug keine Socken. Ich war sicher, dass er tot war. Der Beamte, der hinterm Steuer gesessen hatte, war aus seinem Sitz gefallen und lag in einer eigenartigen Stellung auf dem Stoff der Wagendecke. Seine Augen waren geöffnet, sein Hals verdreht. Seine Zunge hing aus dem Mund. Auch er war tot.
    Palmer war bei Bewusstsein. Er sah mich an, auch von der Decke, die jetzt der Boden war, und versuchte etwas zu sagen. Aber aus seinem Mund kamen nur rötliche Blasen. Der Versuch zu sprechen schien ihn sehr zu schmerzen. Ich hoffte, er würde seine Augen schließen und wartete ein paar Sekunden. Als er sie nicht zumachte und sein Blick sich sogar an mir festheftete, zog ich meinen Führerschein aus seiner Jackentasche. Ich nahm die Tasche mit dem Geld, die neben ihm lag, und ich griff auch nach Gretas Sporttasche. Dann drehte ich mich um und ging so aufrecht und so schnell wie möglich davon, trotz des pulsierenden Schmerzes unter meinem linken Arm und in meinem rechten Bein. Ich überquerte die Straße und war in der Lage, ein Taxi anzuhalten, das aus der Livingston Street in die Flatbush Avenue einbog. Der Fahrer hatte von dem Unfall nichts mitbekommen.
    »LaGuardia. Fahren Sie so schnell Sie können«, sagte ich, als ich mich im Wageninneren so positionierte, dass mein Oberkörper den Blick auf den Unfall versperrte. Der Mann fuhr die Flatbush entlang, bis wir den Brooklyn-Queens-Expressway erreichten. Versteckt unter der Abtrennung stopfte ich das Geld zurück in Gretas Sporttasche. Meine Armbanduhr hatte ich bei dem Unfall verloren. Die grün leuchtende Digitaluhr im Armaturenbrett des Autos zeigte zwei Minuten nach acht an. Wenn wir nicht in einen Verkehrsstau gerieten, könnten wir es in weniger als einer halben Stunde zum Flughafen schaffen. Der American-Airlines-Flug würde dreißig Minuten später gehen. Die Zeit war knapp, aber wenn ich das Flugzeug nach Tucson verpassen sollte, war da immer noch der Flug um 22:15 Uhr.
    Doch plötzlich übermannten mich die Zweifel darüber, was ich tat. Dann aber trat der Fahrer aufs Gaspedal, und ich öffnete das Fenster und fühlte den kalten Abendwind auf meinem geschundenen Gesicht und schüttelte meine Skrupel zum letzten Mal ab. Wir erreichten den Flughafen um halb neun, und als der Fahrer auf dem Seitenstreifen vor den großen American-Airlines-Glastüren hielt, hatte ich den Zwanzigdollarschein bereits parat.
    »Sie bluten«, sagte der Taxifahrer, als er sich zu mir umdrehte, um den Zwanziger entgegenzunehmen. Anstatt zu antworten, stieg ich aus und schloss schnell die Tür. Etwa zwei Dutzend Menschen warteten am Eincheckschalter, also ging ich direkt zu der untätigen Agentin am Schalter der First Class. Ich bezahlte für ein Erste-Klasse-Ticket nach Tucson um 21:00 Uhr. Das Ticket kostete eintausendzweihundert Dollar, und in der Eile kam ich nicht an ein Bündel mit Hundertern, sondern musste mit Zwanzigern bezahlen. Ich versuchte, die Scheine so abzuzählen, dass die Frau am Schalter nicht den ganzen Haufen Geld zu sehen bekam. Doch dann sagte sie, und ihr Lächeln fror fest, »Hören Sie mal, Sir, Sie sind ziemlich schlimm verletzt. Auf Ihrer linken Seite, unter Ihrem Auge, da hat es Sie erwischt, das blutet schlimm.« Ich berührte

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