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Der Schatten von nebenan - Roman

Der Schatten von nebenan - Roman

Titel: Der Schatten von nebenan - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Saur
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hatte ein kleines Namensschild an seinem Hemd, worauf »Sam« stand.
    »Sehen Sie selbst«, sagte er, als ich nach den Zimmern fragte.
    Er schloss zwei der Räume auf, und ich entschied mich für eines der Zimmer im Erdgeschoss, eines ohne Wasserbett, aber mit zwei hölzernen Schaukelstühlen auf der schmalen Holzveranda, die dicht am Swimming Pool lag, dessen Wasser türkis schimmerte mit dem flimmernden Gespinst der Sonnenstrahlen in der hellblauen Tiefe.
    »Sie zahlen bar. Besser. Keine Steuern«, sagte der Manager, »Check-out ist um elf.«
    Nachdem ich die Rechnung für die erste Nacht beglichen hatte, saß ich wieder im Auto und folgte dem Weg zur Sun Air Klinik in Surprise. Es wäre besser gewesen, mit Claire sofort nach Mexiko zu fahren. Claire hatte zu allem am Telefon ja gesagt, aber mir schien, dass wir einander durch die Ereignisse der letzten Tage und die vergangene Zeit so fremd geworden waren, dass ich dachte, wir müssten uns vor unserem nächsten Schritt einander annähern. »Eine Nacht. Dann fahren wir«, sagte ich zu mir, und mein Herz machte einen Sprung.
    Ein Schild deutete mir, dass ich ein paar Meilen später die Straße hinunter nach rechts abbiegen musste. Das Gebäude der Sun Air Klinik war weiß, mit großen Fenstern, die von silbernen Fensterläden an der Fassade verhängt waren. Das Gebäude sah wie ein großer Eiswürfel unter der hellen Morgensonne aus.
    »Wir haben keine Patienten«, sagte die Empfangsdame, »wir haben Gäste. Da ist eine Tafel, auf der Sie den Namen der Dame finden sollten, die Sie suchen.«
    Ich verließ das Hauptgebäude und ging den kurzen Weg durch die frühe Hitze. In der Tat fand ich Claires Namen auf der Tafel an dem Nebengebäude, auf weißes Papier gedruckt und sauber hinter dem Glas verwahrt. Es gab eine Pause, nachdem ich an der Tür klingelte, und als der Summer losging, öffnete sich die Tür von selbst.
    »Dritte Etage«, hörte ich Claire leise durch die Sprechanlage sagen, als ich schon in dem Gebäude war.
    Sie saß in ihrem Zimmer auf einer gelben Couch. Ihr kastanienbraunes Haar war sorgfältig zu einem Turm aufgedreht. Sie sah aus wie eine dieser Schauspielerinnen aus den vierziger Jahren. Wir lächelten einander an. Da war plötzlich eine starke und mysteriöse Verbindung, so wie man sich fühlt, wenn man sich nach Jahren in einem Traum wieder ineinander verliebt.
    Heute weiß ich genau, was diesen Morgen in Arizona so besonders für uns machte: Den Highway mit Claire hinunterzufahren, nachdem wir uns aus der Klinik geschlichen hatten, war einer der glücklichsten Momente, die wir zusammen hatten. Wir hatten beide Fenster geöffnet, und der warme Wind blies uns ins Gesicht. Wir waren unschuldige Ausreißer, und das machte uns unwiderstehlich für einander. Einmal hielt ich an und küsste sie auf den Mund, und sie schmeckte schwach nach Erdbeeren. Sie erwiderte den Kuss mit zaghafter Unsicherheit, unterbrach, langte hinüber, zog an meiner Unterlippe und sah meine beiden Zahnlücken.
    Ich erzählte ihr von dem Unfall. Ich erzählte ihr, dass ich das Geld gestohlen hatte. Ich erzählte ihr von Greta, Priscilla, Amos und Durant. Ich erzählte ihr alles, was während der letzten Woche vorgefallen war, erstaunt, dass da so viel war, das sie nicht wusste. Claire hörte zu und stellte den ganzen Weg zum Motel Fragen. Ich fühlte ihre Augen auf mir. Sie hatte ihre großen, schönadrigen Hände in ihrem Schoß gefaltet. Während sie zuhörte, atmete sie gleichmäßig wie eine Schwimmerin im Wasser. Als ich den Wagen vor dem Motel parkte, hatte die Geschichte die Gegenwart eingeholt.
    Wir hätten weiterfahren sollen, weiter und weiter. Aber wir wussten es noch nicht. Wir bewegten uns noch auf Eis, wie zwei Kinder, die zu einem zugefrorenen Fluss zurückkehren, der sie schon einmal getäuscht hat.
    Im Zimmer des Severin Motels, als Claire sich auszog, sah sie absurd jung aus. Fast wie ein nacktes Kind. Ich war wie ein Aufpasser, hatte sie aus dem Krankenhaus geholt, zum Hotel gebracht, führte sie zu etwas Besserem, wenn auch nur für den Augenblick.
    »Der Lastwagen war … er kam wie ein Geschoss … Ich hoffe, Palmer wird es schaffen«, sagte ich und wiederholte etwas, was ich schon im Auto gesagt hatte.
    Aber sie brachte mich zum Schweigen. Ich sah auf ihre schwere Brust, auf der sich blau die Venen abzeichneten. »Mach schnell«, sagte sie, als ich mich auszog. Vielleicht verstand sie besser als ich, dass unsere Zeit in diesem Hotelzimmer nur geliehen

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